Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
bückte er sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: „Du kannst das Buch haben, kleine Marie – für ganze hundert Centimes, wenn du mir einen winzig kleinen Gefallen erweist. Willst du das machen, meine Kleine?“
O heilige Einfalt. Welch eine Erleichterung! Sein Atem roch seltsam vertraut nach Wein, so wie es der meines Vaters für gewöhnlich tat, wenn er am Abend aus der Auberge kam. Der Krämer war betrunken. Sein Zustand erklärte alles, auch das starke Schwitzen. Sicher brauchte ich für den Krämer nichts weiter zu erledigen, als ein Kilo Bohnen zur Frau des Schulmeisters zu bringen oder etwas ähnliches, wo doch seine eigene nicht abkömmlich war. Und er selbst konnte ja nicht gut den Laden allein lassen, oder?
„Ja, natürlich, Monsieur“, ich strahlte ihn nun vertrauensselig an, ganz erfüllt von der Vorfreude, mit einem einzigen Dienst so billig ein wunderschönes Tagebuch erwerben zu können. Die hundert Centimes konnte ich mir ausborgen, und zwar von dem Geld, das ich anlässlich meiner Ersten Heiligen Kommunion von der Patentante aus Paris erhalten hatte. Es war selbstredend für die Aussteuer bestimmt, aber bis dahin ...
Und, schoss es mir durch den Kopf, wenn ich ihm heute half, durfte ich vielleicht noch öfters Besorgungen machen. Zahlreiche bislang unerfüllte Wünsche rückten in fast greifbare Nähe – Haarspangen, rote Schleifen, ein blütenweißes Taschentuch aus Batist, spitzenumhäkelt und vielleicht dieses kleine Silberkettchen mit dem fein ziselierten Muschelanhänger, das ich in Esperaza in einem Schaufenster gesehen hatte, als ich die Großmutter zum Augenarzt begleitete. So würde ich auch rasch und unbemerkt die hundert Centimes wieder in die Aussteuerkasse zurücklegen können. Das Tagebuch musste ich natürlich trotzdem gut verstecken, aber ich wusste auch längst wo, nämlich unter dem losen Dielenbrett in der Kleiderkammer. Jeden Donnerstag Abend würde ich es hervorholen und all das hineinschreiben, was mir im Laufe der letzten Woche widerfahren war. Donnerstag abends strickten die Frauen von Couiza gemeinsam in der Vorkirche für die armen Negerkinder in Afrika. Bisweilen gesellte sich zu ihnen der Herr Pfarrer, um aus dem letzten Missionsbrief vorzulesen, schrecklich grausame Dinge, die regelmäßig am Freitag in der Schule die Runde machten. Der Bäckersjunge lauschte heimlich unter dem im Sommer offenstehenden Fenster der Vorkirche, während sein Vater tief schnarchte, weil er ja bereits um zwei Uhr in seine Backstube eilen musste. Mein Vater saß abends in der Auberge beim Kartenspielen, Großmutter schlief ständig über irgendeiner Handarbeit ein, und mein Bruder, der kümmerte sich nie darum, was seine kleine Schwester trieb.
„Na gut, dann komm kurz mit in den Vorratskeller, Marie!“ sagte der Krämer leise und, wie mir schien, ein wenig überrascht über meinen plötzlichen Sinneswandel. Ich nickte. Er drehte sich zur Tür und hielt beim Öffnen rasch mit der linken Hand die Ladenglocke fest. Vielleicht störte ihn das ständige Gebimmel den lieben langen Tag.
Monsieur Chalet schloss leise den Laden hinter mir ab, drehte das Schild um, das am Türgriff hing, so dass zu lesen war: „Bin gleich wieder da!“, und lief eilig um die Ecke des Hauses, dorthin, wo sich die Außentreppe zum Keller befand.
Im Keller war es dunkel. Doch der Krämer dachte nicht daran, eine Kerze anzuzünden.
„So, meine Kleine“, flüsterte er, als er die Tür sorgfältig abgeschlossen hatte. „Ich gebe dir jetzt etwas in die Hand und zeige dir, was du damit tun sollst.“
„Ja, Monsieur“, sagte ich artig. Da nestelte er an sich herum, zog etwas aus seiner Hose, nahm meine rechte Hand in die seine, die kalt und unangenehm feucht war (weshalb schwitzte er, wenn er so kalte Hände hatte), und – was war das? – Monsieur fing an, meine kleine Hand mitsamt seiner eigenen an diesem warmen, weichen und dennoch steifen Gegenstand zu reiben, der aus seiner Hose ragte.
Es war unangenehm, aber es tat nicht weh. Der Dienst war auch nicht besonders schwierig, wenngleich anders als erwartet. Auch auf die Gefahr hin, meine zukünftigen Einkünfte als seine Hilfskraft zu gefährden, wagte ich zu fragen: „Was tun Sie da, Monsieur?“
„Still, still, meine Kleine, es dauert nicht lange. Gleich kannst du wieder gehen“, keuchte der Mann, und die Auf- und Abbewegungen unserer Hände an diesem warmen Gegenstand wurden immer schneller. Der Atem des Mannes flog, und als er mit
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