Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
wenig daran, um einen winzigen Anflug seines männlichen Geruches aufzuspüren. Ich nähte neue Knöpfe an seine Hosen und fing an einem Abend aus Einsamkeit sogar an, etwas zu tun, was ich von Grund auf hasse: Ich strickte Socken für Bérenger Saunière, lange dicke Socken aus Schafwolle. Jacques, der Schäfer, hatte mir die Wolle heraufgebracht. Der Winter wäre hier heroben besonders streng, hatte er gemeint.
Drei ganze Monate war die Pfarrei von Rennes-le-Château verwaist. Kein Priester zu Allerseelen, keiner zu Weihnachten. Wer auch wollte im Winter den steilen Berg hinaufsteigen, nur um die Messe zu lesen oder zu predigen, auf einer bröckelnden steinernen Kanzel?
Als der Abbé endlich wiederkam, mit einem triumphierenden Lächeln, war ich glücklich.
Er warf seinen dicken schwarzgrauen Umhang und die lederne Reisetasche in die Ecke, zog die Stiefel aus, streckte und dehnte sich vor Wohlbehagen und Freude, wieder zu Hause zu sein. Als er so vor mir stand und mich ansah, ahnte ich zum ersten Mal, dass mein Herz mehr für ihn schlug, als es schicklich war.
Aus der Patisserie von Esperaza hatte er kleine Marzipankuchen mitgebracht, mit rosarotem Zuckerguss verziert und mit Himbeermarmelade gefüllt. Sie schmeckten einfach himmlisch! Kerzen brannten zur Feier seiner Rückkehr, im Kamin flackerte ein lustiges Feuer, und draußen hatte es angefangen zu schneien. Wir lachten über alles und jedermann, tranken sauren weißen Wein zu den zuckersüßen Himbeertörtchen, und Saunière erzählte drollige Geschichten von den Lateinkandidaten in Narbonne, die überhaupt kein Gespür für die Schönheit dieser alten Sprache hätten.
„Marie“, sagte er plötzlich ernst, bevor er sich wie früher um diese Stunde in sein Arbeitszimmer zurückzog, „ich habe einen Plan gefasst, in Narbonne. Ab sofort werde ich wieder intensiv meine Studien betreiben. Vor allem mein Griechisch und Hebräisch bedürfen der Vervollkommnung. Gleich morgen will ich damit anfangen. Jetzt, im Winter, ist die beste Zeit dazu. Zur Renovierung der Kirche ist das Wetter viel zu schlecht. - Und nun wünsche ich dir eine gute Nacht! Gott befohlen.“
Obwohl erst dreißig Jahre alt, war Bérenger Saunière ein überaus gebildeter Mann. Auch an Güte fehlte es ihm nicht. Aber irgendwie war er nie zufrieden mit sich. Später verstand ich: Er hasste den Stillstand und liebte die Veränderung.
Als Kind war auch ich lernbegierig gewesen. Aber wer gab sich in einer Dorfschule mit einem vorlauten Mädchen namens Marie ab? Meldete ich mich ungeduldig und schnellte dabei heftig mit den Fingern, so brummte die alte Triefnase Lasalle nur: „Mäßige dich, Marie! Gesittete Mädchen drängen sich nicht vor! Charles, bitte antworte du!“ Beschwerte ich mich am Abend bei der Großmutter, so beschwichtigte diese mich: „Was willst du, du dummes Ding. Die Mädchen heiraten bald. Es ist doch ganz normal, dass der Herr Lehrer die Knaben öfter drannehmen muss, damit sie etwas Ordentliches lernen!“
„In wesentlichen Dingen, liebe Marie, darf man eben nicht nachgeben“, hatte Saunière gesagt, als ich mich einmal bitterlich bei ihm beklagte, keine Chance zum Lernen bekommen zu haben.
„Du hättest hartnäckiger sein sollen. Dann wäre man gewiss auf dich aufmerksam geworden und hätte dich auf eine bessere Schule geschickt.“
„Auf eine bessere Schule?“ fuhr ich hoch. „Mit einem Ungenügend in Betragen für Hartnäckigkeit, für ständiges Nachfragen und Reinreden kommt man auf keine bessere Schule! Und als Mädchen sowieso nicht. Sehen Sie sich doch einmal die Schwielen auf meinen Handflächen an, Hochwürden, die stammen nicht von der Arbeit bei der Trussaut, sondern vom Rohrstock des alten Lasalle, der aus mir unter allen Umständen ein braves Mädchen machen wollte. Die einzigen Bücher, die bei uns zu Hause auf der alten Kommode standen, das waren die Heilige Schrift und das dicke, ziemlich vergilbte Kochbuch der Großmutter. Die Heilige Schrift war in Latein, und ich konnte sie natürlich ebenso wenig lesen wie der Rest meiner Familie. Nur Barthélémy stotterte sich mitunter etwas zusammen, wenn er wieder einmal ein Veilchen oder ein Farnblatt zum Pressen hineinlegte. Das Kochbuch zu studieren, das wenigstens war mir erlaubt.
Ach, Hochwürden“, klagte ich weiter, denn ich war gerade so schön in Fahrt geraten, „jahrelang habe ich diesen verdammten Wälzer mit den zahlreichen losen Blättern mit mir herumgeschleppt. viele Rezepte habe ich
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