Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
...“
„Es sollte eine List sein! Wie bei der Geschichte mit Odysseus!“ stieß ich hervor.
„Eine List? Odysseus? Wozu denn das, Marie?“
„Weißt du, ich habe den Sarg bereits am 12. Januar in Auftrag gegeben, als du noch gesund schienst. Ich habe deine Handschrift gefälscht und dem Schreiner erzählt, dass ich nicht wüsste, für wen er gedacht sei. Du hättest ihn jedenfalls für den 17. Januar bestellt. Das war der Tag, an dem du abreisen wolltest, nicht wahr? Er ist übrigens ebenfalls aus Steineiche, mit vergoldeten Beschlägen. Der Schreiner hat sich sofort an ein ähnliches Exemplar erinnert, das er dir irgendwann geliefert hatte und von dem er bis zum heutigen Tage nicht weiß, wer darin begraben ist.“
Bérenger versuchte zu lachen. „Aus Eiche ... vergoldete ... Odysseus?“
Das Sprechen gelang ihm nur bruchstückhaft. Die Schmerzen waren zurückgekommen und hatten ihn mit einer Heftigkeit überfallen, dass ihm die Luft wegzubleiben schien. Er umklammerte meine Hand. Nach einigen Minuten jedoch ging es ihm wieder ein wenig besser.
„Warum, Marie, warum?“ wollte er wissen.
„Der Grund lag in deinem Plan, für immer von hier wegzugehen. Und da ich nicht wusste, wie der Tee auf dich wirken würde ... Nun, wenn du also trotzdem abgereist wärst, wenn dich nach einigen Tagen die Leute vermisst hätten, der Gemeinderat und all deine Schäflein, dann hätte ich ihnen erzählt, dass du dich schwerkrank gefühlt hättest und in ein mir unbekanntes Sanatorium gefahren wärst. Ja, es sei dir sogar in der Nacht zum 12. Januar so elend ergangen, dass ich am Morgen darauf einen Sarg für dich in Auftrag hätte geben müssen. Es wäre dir aber ein Anliegen gewesen, niemanden mit deiner Krankheit zu belasten. Als Beweis für meine Geschichte hätte ich ihnen die Auftragsbestätigung des Schreiners gezeigt.“
Ich hielt kurz inne, um mir die Nase zu putzen.
„O Marie, Marie, hat dich meine bevorstehende Reise so sehr in Aufruhr gebracht, dass du ... Ganz sicher wäre ich nur einige Wochen oder Monate bei ihr geblieben! Niemals für immer, Marie.“
„Weißt du“, schluchzte ich, „meine Eitelkeit ist daran schuld. Ich wollte in den Augen der anderen nicht von dir verlassen worden sein! Der Sarg war mein Trojanisches Pferd, in dem ich mich hätte verstecken können.“
Bérenger lachte, bis ihm die Tränen die Wangen herabrannen und das Herz wieder heftig anfing zu schmerzen. „Marie“, keuchte er, „ich glaube, du bist genauso stolz und ebenso verrückt wie ich. Erweist du mir nach meinem Tod einen letzten Liebesdienst?“
„Ja.“.
„Ich möchte“, flüsterte er mühsam, und ich sah mit Entsetzen, dass es mit seiner Kraft nun wirklich zu Ende ging, „dass du alle Scheine fremder Währungen und alle Papiere verbrennst, die sich in der braunen ledernen Tasche befinden. Dann das schwarze Buch mit meinen Aufzeichnungen, es befindet sich ebenfalls in der Tasche. Du kennst es längst, nicht wahr? Der Schlüssel ..., du hast ihn nicht ordentlich zurückgehängt!“
Ich nickte.
Seine Lippen fingen an, blau zu werden, und seine Augen trübe. Doch er war noch immer nicht fertig mit dem, was er mir zu sagen hatte.
„Wenn ich hinübergegangen bin nach Arkadien, dann will ich, dass du mich auf meinen Schaukelstuhl auf die Terrasse setzt, dorthin, wo mein Blick über mein geliebtes Tal gleiten kann. Hol dir Félix, der dir dabei hilft, und bindet mich gut fest. Danach suchst du die alte Merowingerdecke heraus, die ich in England erstanden habe seinerzeit, du weißt schon, die mit den scharlachroten Troddeln, für die ich ein halbes Vermögen bezahlt habe.“
Ich nickte zum zweiten Mal.
„Diese Decke hängst du mir um die Schultern. Nimm eine der alten silbernen Fibeln aus der Grotte zum Zustecken. Dann laßt ihr mich eine Woche draußen stehen. Eine ganze Woche, hörst du!“
Ich nickte zum dritten Mal – unfähig, auch nur ein Wort aus meiner Kehle hervorzustoßen.
Bérenger lachte zynisch auf. „Ha, bei dieser Kälte braucht niemand Angst zu haben, dass ich vorzeitig verwese und zu riechen beginne! Telegraphiere sofort nach meinem Tod den Freunden in Paris, die Adressen findest du im kleinen schwarzen Buch auf meinem Schreibtisch. Auch Hoffet, er ist wieder zurück. Emma schreibst du später, sie würde sowieso nicht rechtzeitig hier sein können. Lass alle, die anreisen, und auch die Leute aus dem Dorf, zu mir hochkommen auf die Terrasse. Dort können sie einzeln von mir Abschied
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