Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
einmal die Suppe versalzen!
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„Sieht man, was man auf Erden war und was man hinterlässt,
so ist nur Schweigen Größe, alles übrige ist Schwäche ...“
Alfred de Vigny , La mort du loup
Ein Jahr war bereits vergangen, seitdem Saunière aus Narbonne zurückgekehrt war, da starb die Großmutter. Monatelang schon war sie bettlägerig gewesen. Zusammengeschrumpelt und ganz gelb im Gesicht, lag sie im Alkoven, wenn ich sie besuchte, niemals aber war ein Wort der Klage über ihre Lippen gekommen. Zum Glück hatte sich tagsüber Suzette, die Nachbarin, ihrer angenommen, denn Bourriche sah es nicht gerne, wenn Mutter ihre Arbeit unterbrach. Saunière war da ganz anders.
„Die Arbeit kann warten, Marie! Deine Großmutter nicht!“ hatte er oft gesagt.
Zur Beerdigung kam auch Barthélémy. Juliette sei unpässlich, log er, und alle glaubten ihm. Die Falten in Mutters Gesicht schienen seit meinem Weggang zu mächtigen Furchen geworden zu sein, und Vater redete am Tag der Beerdigung kein einziges Wort zu irgend jemandem.
Großmutters Sparstrumpf war verschwunden. Die Eltern hatten die Nachbarin im Verdacht, aber zu beweisen war ihr ein Diebstahl nicht. Man würde sich nur ein einfaches Holzkreuz leisten können, meinte Mutter resigniert. Am gleichen Abend noch nahm ich das Kochbuch mit nach Rennes-le-Château. Niemand hielt mich zurück.
Der Tod der Großmutter lockerte das feste Band, das mich noch immer mit meinem Heimatort Couiza verband. Kein Wunder, dass ich mich mehr und mehr in Rennes und im Haus des Priesters heimisch fühlte. Das lag jedoch nicht allein an dem schönen Gärtchen, nicht an diesem malerischen Bergdörfchen mit dem imposanten Bugarach im Hintergrund, der so lange im Frühling noch schneebedeckt war, sondern es lag – langsam konnte ich es nicht mehr vor mir verbergen - an Bérenger Saunière.
Bald musste auch er es spüren, dass ich ihm nicht nur als Dienstherrn zugetan war. Waren es meine Blicke, die mitunter ein wenig zu lange auf seinem Gesicht ruhten, oder die Art und Weise, ihm beim Arbeiten oder Studieren zuzusehen? Ich weiß es nicht. Es war unausweichlich, dass wir immer vertrauter miteinander wurden. Saunière fing an, mich nicht mehr Marie, sondern ein wenig spöttisch „Marinette“ zu rufen und mir ab und zu über das Haar zu streichen, wenn ich ihm am Abend seinen Roten brachte. Ich lächelte sanft - und zitterte inwendig.
Zwar hatte ich mir inzwischen eingestehen müssen, dass ich ihn liebte, doch er war schließlich Priester und an sein Zölibat gebunden. Und ich dachte auch an das Versprechen, das ich der Großmutter gegeben hatte, nämlich der Familie keine Schande zu bereiten. Als aber das Verlangen nach seiner Nähe zunahm, als ich am ganzen Körper zu beben anfing, wenn er bei mir stand, fasste ich von einem Tag auf den anderen den Entschluss, mich so weit wie irgend möglich von ihm fernzuhalten.
Meine plötzliche Reserviertheit musste ihm auffallen, und nun fing er seinerseits an, mich zu beobachten. Er sah mit fragendem Blick von seinen Büchern hoch, was früher nur selten vorgekommen war, und ließ mich nicht aus den Augen, bis ich den Teller mit dem Brot, dem Schinken oder Käse, das Besteck und sein Weinglas vor ihn hingestellt hatte. Seine auffällige Aufmerksamkeit bescherte wiederum mir neues Herzklopfen, und wenn ich ihm rasch den Wein einschenkte, so verschüttete ich manchmal einige Tropfen, was Saunière zu weiterem Spott veranlasste.
Was sollte ich tun? Mir eine neue Stelle suchen, schon wieder Hals über Kopf meinem Dienstherrn davonlaufen? Das wäre wohl die beste Lösung für uns beide gewesen, hätte jedoch den Stein, der schon bald ins Rollen kam in Rennes-le-Château, nicht mehr aufgehalten.
In diese ungewisse und zugleich aufregende Zeit unserer wachsenden Zuneigung fiel der Beginn meiner seltsamen Freundschaft mit Simone Leclerque. Sie hatte eines Sonntags vor der Messe auffällig meine Gesellschaft gesucht und mich danach für den Nachmittag zum Kaffee eingeladen. Zuerst war ich versucht, eine Ausflucht zu finden, weil mich ihre Art entschieden an meine Schwägerin Juliette erinnerte. Aber eine passende Ausrede war mir nicht eingefallen, und da Saunière mich beim Mittagessen dazu ermutigte, entschloss ich mich, sie zu besuchen. Er hatte mir erzählt, dass sie vor zwei Jahren von ihrem Mann verlassen worden wäre. Ihre Ehe sei kinderlos geblieben, wie die von Émilie, nur mit dem Unterschied, dass Simones Mann unbedingt Kinder haben wollte
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