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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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auf mich. Auch wenn Sie sich Ihrer Jugend wegen mit der Liebe gewiss noch nicht auskennen, fühle ich, dass Sie mein Leid verstehen. Wollen wir nicht Freundinnen werden?“
    Ich war überrascht über ihre Mitteilsamkeit und argwöhnte, dass Madame sich am Ende als eine Klette erweisen würde. Andererseits tat sie mir leid. Auch wenn ich oft leichtfertig daherrede, habe ich doch ein Herz für unglückliche Menschen. Überdies fühlte ich mich in ihrem Haus ganz einfach wohl. Es ist seltsam. In manchen Häusern bin ich von Anfang an heimisch, in andere wieder kehre ich, wenn ich es vermeiden kann, niemals mehr zurück. Bei der Trussaut war es beispielsweise so gewesen. Am schlimmsten ist es aber für mich, wenn es eigentümlich riecht in den Häusern. Nicht, dass es in einem Haus nicht nach Kohl und Knoblauch, nach Lamm- und Gänsebraten oder dergleichen duften darf. Aber es gibt gewisse säuerliche Gerüche, die mich abstoßen. Vor allem merke ich sofort, wenn sich ein Hausbewohner nicht regelmäßig wäscht oder die Leibwäsche nicht häufig genug wechselt. Meine Nase war zum Leidwesen meiner Mutter schon früh überaus empfindlich gewesen.
    Aber bei Madame Simone roch es gut – nach gelbem Bohnerwachs, aromatischem Kaffee, nach Schleierkraut, Margeriten und blauer Iris, mit denen sie den Tisch geschmückt hatte. Und so dachte ich bei mir, dass vielleicht uns beiden geholfen wäre, wenn wir uns anfreundeten, dass auch sie mich ein wenig ablenken würde von meinen steten Gedanken an Bérenger Saunière.
    Mit einem Speer aus Tropenholz bewaffnet, machte ich mich bei Einbruch der Dämmerung auf den Rückweg.
    Saunière war kurz vor mir nach Hause gekommen und lachte Tränen, als er mich sah. „Marie! Du siehst aus, als ob du dich auf dem Kriegspfad befindest! Was willst du damit anfangen in einem Pfarrhaus?“
    „Nun, er wird sich im Treppenhaus äußerst dekorativ machen. Wer weiß, vielleicht brauche ich ja eines Tages Schutz vor zudringlichen Freiern“, sagte ich schnippisch.
    „Na“, er grinste, „meinetwegen. Madame Leclerque wird sich allerdings heute Abend ins Fäustchen lachen, weil sie ein williges Opfer gefunden hat, das sie von einer ihrer zahlreichen Scheußlichkeiten befreit. Soll ich eine Prophezeiung wagen, obwohl das nicht gerade opportun für einen Priester ist: Also, ich sage dir voraus, dass du am nächsten Sonntag mit einem Schild hier auftauchen wirst!“
    Langsam wurde ich ärgerlich. So scheußlich war der Speer doch gar nicht. Ich fand ihn im Gegenteil fast perfekt. Das dunkle polierte Holz glänzte verführerisch, lud ein, wieder und wieder mit der Hand darüber zu streichen. Der Wilde, der ihn einst gefertigt hatte, musste ein Künstler gewesen sein. Aber vielleicht hatte Saunière hierfür nicht das rechte Auge.
    Mit seiner Prophezeiung jedoch sollte er recht behalten. Am Sonntag darauf trugen mehrere Gläser Brombeerlikör das ihre dazu bei, dass ich mit einem wunderschönen, haargenau zum Speer passenden madegassischen Schild im Pfarrhaus auftauchte.

6
    Lasst uns die flüchtigen Wonnen ganz genießen
    von unseren schönsten Tagen!
    Alphonse de Lamartine , Le lac

    Wieder war ein Jahr zu Ende gegangen. Ringsum war alles reifgefrostet, die Eichen vor der Kirche, der sperrige Apfelbaum vor dem Pfarrhaus, die Sträucher und die verwelkten Blumen.
    Ach, es gibt nichts Trostloseres als einen spätwinterlichen Garten.
    Der Januarfrost schien sich auch zwischen uns eingeschlichen zu haben. Wir warteten wie erstarrt, schwiegen, wenn wir es nicht vermeiden konnten, in einem Raum beisammen zu sein, sahen uns nicht in die Augen. Saunière spottete nicht einmal mehr über mich.
    „Marinette“ - so nannte ich mich inzwischen selbst. Dieser Name, den er sich für mich ausgedacht hatte, aber längst nicht mehr benutzte, war weich und süß wie die Rosenblätter des letzten Sommers. Wenn ich ihn vor mich hin flüsterte in der Nacht, suchte ich in der Tiefe meiner Erinnerung stundenlang nach diesem bestimmten Tonfall, dieser ihm eigenen Melodie, mit der Saunière ihn aussprach. Seine Stimme war wie der schwarze, schmiegsame Samt, den ich in der Hutmacherei so oft liebkosend an meine Wange gehalten hatte. Und erst wenn ich mir fast sicher war, den richtigen Klang in meinem Kopf vernommen zu haben in der einsamen Dunkelheit, schlief ich ein.
    Als das Frühjahr kam, zeigte sich, dass Saunières Eintreten für die Monarchie ihm nicht nur eine Strafe beschert, sondern aus ebendiesen Kreisen einige

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