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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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der diesen Mut hätte, würde keinen einzigen Tag älter werden. Man weiß nur zu gut, dass, wenn das Geheimnis durchsickerte, ein Bruch durch die Christenheit gehen würde, und die Geschichte müsste obendrein ganz neu geschrieben werden. Ob Rom sich dabei halten könnte, ist stark zu bezweifeln. Nein, Rom ist ganz und gar nicht an der Wahrheit interessiert. Rom wird den Staub der nächsten paar hundert Jahre über unsere Entdeckung rieseln lassen, bis wieder einer kommt und die Wahrheit sucht. Dann wird ein weiterer Mensch, sei es nun ein Priester oder ein Laie, einen Kompromiss mit dem obersten Richter, dem Heiligen Vater, schließen müssen, um ein paar Jährchen länger leben zu dürfen. So wie ich es getan habe und natürlich auch Boudet.“
    Bérenger machte eine kurze Pause. Ich sah, wie er sich eine Träne aus dem linken Augenwinkel wischte. Dann seufzte er tief.
    „Der arme Gélis hat diesen Kompromiss abgelehnt. Er hat sich keinen Maulkorb umhängen lassen. Und er wurde umgebracht!“
    Rivière zog hörbar den Atem ein.
    „Ich glaube Euch nicht, Saunière. Euch fehlt es an Demut. An Demut und Respekt!“ flüsterte er halblaut.
    Bérenger ging auf seinen Vorwurf nicht ein. Er sah ihm voll ins Gesicht und sagte nach einigen Sekunden:
    „Was seid Ihr nur so blass geworden, Bruder? Hat Euch meine Beichte derartig erschüttert? Ihr tut mir wirklich leid, lieber Kollege. Es ist gewiss nicht leicht, als treuer Priester Roms zu erfahren, dass die christliche Wahrheit auf ziemlich tönernen Füßen steht. Nein, nein, lasst nur, Ihr braucht Euch nicht zu rechtfertigen. Ich weiß Euren ablehnenden Gesichtsausdruck wohl zu deuten, und ich trage ihn Euch nicht nach. Aber Hand aufs Herz, wart Ihr selbst nie in Verlegenheit, wenn Ihr Eure Osterpredigt hieltet, habt Ihr niemals gezweifelt, Euch keinen einzigen Tag Gedanken darüber gemacht, dass bereits mit der Geschichte der drei Frauen am Grab etwas nicht stimmen könnte?“
    „Was meint Ihr damit, Saunière?“
    „Nun, weshalb eigentlich fällt den Frauen erst auf dem Wege zum Grab ein, dass ein großer Stein ihre Absicht, den Leib zu salben, zunichte machen könnte? Warum hat man überhaupt noch kurz vor Beginn des Sabbats diesen Stein vors Grab gerollt? Hatte man Angst davor, dass die Schrift nicht erfüllt werden würde, wenn man das Fehlen des Leichnams zu früh feststellte? Der dritte Tag? Nun?“
    Rivière schwieg beharrlich.
    Auf Bérengers Stirn hatten sich inzwischen lauter kleine Schweißperlen gebildet. Ich wagte nicht näherzutreten, um sie ihm abzuwischen. Ja, ich wagte bei diesem Gespräch noch nicht einmal zu atmen. Ich hatte Angst. Warum nur hatte er darauf bestanden, dass ich bei seiner furchtbaren Beichte anwesend sein sollte?
    Bérenger befeuchtete mit seiner Zunge ausgiebig seine Lippen, strich dann mit beiden Händen sein Laken glatt und fuhr anschließend in ruhigerem Ton fort:
    „Prüft aufrichtig Euer Herz, lieber Freund, denkt in Ruhe nach, wenn ich gestorben bin. Lest nach bei Matthäus 26, wo es heißt: Wenn ich aber auferstehe, will ich vor euch hingehen, nach Galiläa ... Nach Galiläa wollte er! Seht euch die Karte an, sucht nach der Hafenstadt Akkon!
    Ich will nicht selbstgerecht erscheinen. Ich sagte es bereits, ich habe mich lange geweigert, Boudets Hirngespinste – er vermutete zuerst einen Zwilling des Herrn - ernst zu nehmen. Aber ich habe mich auch in all meinen Jahren in Rennes-le-Château immer davor gehütet, die Ostergeschichte allzu vollmundig zu verkündigen.“
    „Nein, Ihr seid im Unrecht!“ stieß Rivière hervor. „Ihr habt Euch völlig verrannt, Saunière! Die Frauen, die Jünger, alle haben ihn gesehen! Jesus Christus ist der Gekreuzigte und Auferstandene für immer und ewig!“
    „Ja – gut“, seufzte Bérenger. „In einem will Euch recht geben! Sie haben ihn gesehen. Und er lebt.“
    Ich sah, wie Rivière überrascht den Kopf hob, so als ob er es nicht erwarten konnte, im Anschluss an dieses hoffnungsvolle „Er lebt“ von dem kranken Mann zu hören: Verzeiht, ich habe gesündigt. Es ist natürlich alles so, wie es geschrieben steht. Es muss so sein.
    Bérenger aber dachte nicht daran, Rivières unausgesprochenen, einzig durch die gespannte Haltung seines Körpers ausgedrückten Wunsch zu erfüllen.
    „Er lebt, habe ich gesagt“, bekräftigte er nochmals seine letzten Worte. „Jawohl! Christus ist lebender Glaube. Er lebt aber nur dort, wo man an ihn denkt, über ihn spricht und ihm in seiner Lehre

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