Marienplatz de Compostela (German Edition)
und der schönen Perlenkette. Eine Spur zu chic, wie sie zuerst empfunden hatte, aber der dezente Lippenstift und ihre tiefe, ruhige Stimme hatten sie versöhnt. Lange Haare hätten ihr besser gestanden.
Die beiden Männer, die sie nun an der Tür empfing, waren völlig andere Typen, ganz andere Kerle. Der Ältere trug wilde, ungezähmte Locken auf dem Kopf, hatte eine leuchtend rote Hose an und ein dunkelgrün kariertes Jackett. War das denn modern? Der junge Bursche mit den zu langen Haaren, der ausgewaschenen Jeans und dem funkelnden Brillanten im Ohr entsprach gar nicht ihrer Vorstellung von Landeskriminalamt. Bei der Begrüßung war sie fast erschrocken, als sie im Mund des jungen Kerls ein Blitzen wahrnahm. Ein Piercing in der Zunge – unglaublich. Sie hatte die beiden ins Wohnzimmer gebeten und wahrnehmen müssen, wie sie sich ganz ohne Hemmung umgesehen hatten. Ihre Blicke waren überall hingewandert – suchend, prüfend, kategorisierend. Es machte sie unsicher. Der Ältere hatte sich endlich ihr zugewandt und die Worte »Schön hier« gesagt.
Ihr Mann war noch oben im Arbeitszimmer und sie hörte seine Schritte auf dem Dielenboden. Schön hier ging ihr durch den Kopf. Das war kein Kompliment, denn das schön war unpassend und das hier entwertete es grundlegend. Der Kerl, der sich als Hartmann vorgestellt hatte, hätte mit einer abfälligen Attitüde ebenso sagen können: ganz nett hier.
Frau Blohm war konsterniert. Es stand diesen Polizisten doch nicht zu Gebot, sich über das Wohnumfeld fremder Menschen zu äußern. Noch bevor ihr Mann im Wohnzimmer gestanden hatte, deutete dieser Hartmann gleich nach dem »Schön hier« auf den Tisch und fragte: »Hier?« So als ob er das Sagen hätte und bestimmte, wo es langging Auch der junge Kerl bewegte sich mit einer unangenehmen Selbstverständlichkeit. Sie fühlte sich unwohl und empfand die Anwesenheit der beiden in keiner Weise beruhigend, vielmehr als Bedrohung. Ihr Mann hatte das alles nicht mitbekommen und saß ruhig am Tisch. Sie spürte Verlorenheit und hatte sich doch Unterstützung von der Polizei versprochen – und nun das.
Hartmann und Batthuber wussten, wem sie gegenübersaßen. Noch am Nachmittag hatten sie ein Dossier über die Familie Blohm recherchiert. Blohm stammte aus einer alten Münchner Handwerksfamilie – Schreiner und Tischler – und leitete den mittelständigen Familienbetrieb mit Sitz in Pasing. Frau Blohm war die Tochter eines Kunstprofessors, der im Nymphenburger Schloss als Kurator gearbeitet hatte. Das Haus hier war ihr Elternhaus. »Alter Münchner Bürgeradel«, hatte Hartmann auf der kurzen Fahrt zu Batthuber gesagt, »vermögend, vernetzt, versichert.«
»Sohn tödlich verunglückt, Tochter vermisst – kein gutes Karma«, meinte Batthuber.
Hartmann hatte das Mitgefühl verwundert, das in Batthubers Worten mitschwang. Er hätte eher etwas Bissiges von ihm erwartet.
Er sagte: »Wir werden ein wenig frech sein, Kleiner, auch wenn das unangenehm ist, aber nur so kann man ein paar Gefühle oder Versprecher rauskitzeln.«
Kaum in der Wohnung, hatte er den großen Wohnraum inspiziert und musste Bucher recht geben, der von sachlicher Gemütlichkeit gesprochen hatte. Ihm fiel die Polizeischule wieder ein und der emotionslose Kerl mit den wässrigen Augen und den dünnen langen Haaren, der versucht hatte Psychologie zu vermitteln; auch die vier Grundtypen von Fritz Riemann. Den Nähetyp, der es gemütlich liebte, weiche Stoffe und warme Farben bevorzugte. Der Distanztyp mit seiner Vorliebe für schwarzes oder weißes Leder und klare Formen. Der Dauertyp mit seinem Faible für Antiquitäten und der Abneigung gegenüber exzentrischem Design, der so ganz anders war als der Veränderertyp, bei dem es vor allem trendig sein musste und Hingucker in knalligen Farben eine Rolle spielten. Ja, Herr Psychologe, ging es Hartmann durch den Kopf, während er das Angebot von Kaffee oder Wasser abschlug: Was würdest du mit deinen vier Typen hier in dieser Wohnung anfangen?
Hartmann war der Überzeugung, es gab einen fünften Typ – den Traditionstyp. Ein Typus, der kein eigenes Schema entwickelte, sondern in überkommenen Umgebungen samt ihrer Werteordnung lebte. Dieses Haus, dieser Garten und selbst ein großer Teil der Möbel, sie stammten von vorigen Generationen. In diesem Haus wurde nicht nur gewohnt und gelebt, hier wurde eine Tradition gepflegt und daran gearbeitet sie weiterzugeben. In jedem Stück Holz, jedem Gemälde, jedem
Weitere Kostenlose Bücher