Marienplatz de Compostela (German Edition)
Meldung wert war.
Hartmann hing gelassen im Drehstuhl und unterhielt die anderen. »War schön gestern Abend, so ein kleiner Munich-Workout im Flaucher. Da kommt man vielleicht auf Zeug. Habe mich gestern auch noch ein wenig mit dem Pilgern befasst. Das ist ja der blanke Wahnsinn. Einfach so wandern geht ja gar nicht mehr. Was habe ich das früher als Kind gehasst, wenn das Frühjahr gekommen ist, und mein Alter die ganze Familie in die Berge getrieben hat. Rein anziehmäßig lief damals ja gar nichts, was in Richtung modisch gegangen wäre. Ich hatte eine Lederbuchs, knarzige Wanderschuhe aus Leder und einen kleinen Rucksack, in dem eine Flasche mit Holundersaft war – neben der Brotzeit und einem trockenen Hemd zum Wechseln. Und so sind wir losgestiefelt – fast jedes Wochenende: Hirschberg, Alplspitz, Ammergauer Alpen, Benediktenwand, Hoher Peißenberg, Tegelberg – was weiß ich nicht alles. Meinem Bruder hat das gefallen, dem Schleimer. Ist ja auch nichts aus ihm geworden, aus dem Herrn Lehrer, dem. Man ist halt gelaufen und hat so lange das Maul gehalten und wenn man bockig war, gab’s ne Schelln. Heute fängt das Drama ja schon viel früher an – bei den Klamotten. Ohne expeditionstaugliche Kluft geht’s gar nicht. Wenn ich so durch die Stadt laufe, dann frage ich mich schon, was die ganzen Typen in ihrem Outdoor-Outfit machen. Sollten wirklich mal Außerirdische bei uns aufschlagen, dann würden sie an ihren Heimatstern funken: »Wir sind bei den Jack Wolfskins gelandet und ein paar Northfaces laufen auch noch rum ! «
Die anderen lachten, Hartmann holte Luft. »Und dann die Überhöhung – Sinn muss es machen, das Laufen! Als würde die Fortbewegung zu Fuß als solche nicht schon Sinn genug machen. Rumhatschen geht ja gar nicht mehr, wenn man sich nicht zuvor Gedanken darüber macht, was es mit einem machen soll , was sich durch das Wandern in seinem Leben ändern muss, was man gespürt hat, und was man nicht mehr spürt und welche Gefühle man dabei hat. Da gehen die Leute zum Wandern, und machen sich schon vorher völlig fertig, falls sie vielleicht mal nicht die große Welterkenntnis dabei haben, sondern einfach gedankenverloren und völlig unreflektiert durch Zeit und Raum stiefeln. Bei diesem Selbsterkenntnisstress gewinnt man doch keinen Abstand mehr von sich selbst und vom Alltag, da wird doch alles nur schlimmer, oder? Und was es alles gibt! Pilgern alleine und Wandern gibt’s ja gar nicht mehr. Ein Lebensfeuerweg im Kleinwalsertal, wo man sein Lebensfeuer reaktivieren kann, indem beim Wandern die Lebensrhythmen synchronisiert werden. Ha! Da wüsste ich ganze Abteilungen hier im Haus, die man da mal hinschicken sollte, um den Rhythmus mal etwas zu heben. Im Südschwarzwald gibt’s den Philosophieweg. Da begleiten einen Tafeln mit Gedichten und philosophischen Sprüchen beim Wandern – wie nett! Wandern mit Heidegger: Das Denken ist kein Mittel für das Erkennen. Das Denken zieht Furchen in den Acker des Seins. Das wäre dann eher was fürs Ministerium. Irgendwo, ich hab vergessen wo, weil es ein unwichtiger Ort war, außerhalb von Bayern halt, da gibt es einen Wald-Skulpturen-Weg. All die schönen Bäume, und die stellen Skulpturen auf. In Murnau haben sie einen Meditationsweg. Da sind zwölf Stelen mit meditativen Impulsen aufgestellt. Früher war da der Staffelsee, im Sommer war auf dem Lindenbichl Zeltlager, da wurde gebadet, geschrien, versenkt, geknutscht, Lagerfeuer gemacht – herrlich war’s. Meditative Impulse! – man sollte die Gegend heute eher meiden. Es gibt auch Barfußwanderwege, Wassererlebniswanderrouten, und, und, und … das ist ein riesiger Markt geworden und wer so ein Zeug nicht bieten kann – der kriegt anscheinend keine Wanderer mehr, die wandern wollen. Man glaubt es nicht. Lebensberatung wohin man schaut. Nirgends lassen sie einen damit in Ruhe.«
Die anderen hatten amüsiert zugehört. Mit einem Stöhnen schloss Hartmann seinen Monolog ab und berichtete vom Besuch bei den Blohms. Eine blaue Plastikbürste mit herrlich glatter Oberfläche und Haare von Anne Blohm hatten sie mitgebracht. Die Kriminaltechnik kümmerte sich schon um DNS und daktyloskopische Spuren.
»Jetzt haben wir eigentlich alles so weit erledigt. Sollen wir jetzt hier rumhocken und warten? Das ist doch Mist«, räsonierte Hartmann, der aufgekratzt war, »jetzt müsste es doch in Frankreich weitergehen, oder liege ich da falsch?«
»Die Ermittlungsersuche liegen vor«, stellte
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