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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Blick auf. »Rufen Sie mich an, bevor Sie zur Polizei müssen«, sagte sie, »dann können wir immer noch besprechen, wie wir vorgehen.«
    Lilian nickte.
    Antonia hob den Kopf. »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie mit heiserer Stimme.
    »Kein Problem«, entgegnete Marilene, »melde dich bei mir, sobald du kannst, ja?«
    Herzog enthob sie einer Antwort. »Ich bin ja jetzt da«, erklärte er geradezu inbrünstig.
    Marilene nickte nur. Ein ahnungsloser Retter in der Not könnte mehr schaden als nutzen, und sie fragte sich, ob Lilian und Antonia ihn einweihen oder ihre Geheimnisse weiterhin für sich behalten würden.
    * * *
    Sie brachen mit einigem Abstand hinter der Hundeführerin durchs Unterholz, einen Lärm veranstaltend wie eine ganze Rotte Wildschweine. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen hüpften auf und nieder, malten Blitze ins Dunkel, die sich in die Netzhaut brannten und so jede Stolperfalle unsichtbar machten. Spätsport mit hohem Risikofaktor, und das zum zweiten Mal innerhalb von Tagen, dabei gab es gar nicht so viel Wald in Ostfriesland.
    Tatsächlich hegte Zinkel den Verdacht, dass der Ostfriese an sich Bäume nicht sonderlich schätzte, Laubbäume jedenfalls. Schon verschiedentlich war er auf Leute gestoßen, die herangewehte Blätter einzeln aus ihren Vorgärten klaubten, während sie mit tadelnden Blicken die Nachbarschaft nach dem Verursacher abzusuchen schienen. Auch gab es erstaunlich viele Baumstümpfe in den Gärten zu entdecken, wenn man im Vorbeifahren den Hals ordentlich reckte, und bei Gelegenheit würde er sich erkundigen, ob es hier eigentlich Baumsatzungen gab oder sich die Mühe erübrigte, weil alle paar Jahre ohnehin ein Sturm alles fällte, was nicht fest genug im Boden verankert war.
    Er taumelte, fing sich wieder, beschleunigte seine Schritte, um den Anschluss an Lübben nicht zu verlieren, der jünger war, wenn auch nicht viel, und augenscheinlich fitter. Allmählich ging ihm die Puste aus. Hoffentlich war es nicht mehr weit. Hoffentlich kamen sie nicht zu spät. Zwar hatte Gerrit richtiggelegen mit dem Logabirumer Wald – binnen Minuten war ein Damenrad am Waldrand aufgefunden worden, von dem sie annahmen, dass es sich um Kathrins handelte –, und sogar die Hundeführerin aus Aurich war nach nur einer Viertelstunde eingetroffen, doch wie weit würde Kathrin laufen, wie lange ihr Vorhaben überdenken, bevor sie es in die Tat umsetzte?
    Er geriet heftig ins Keuchen, Stakkato, und die Seite stach erbärmlich, wie um ihn aufzuhalten, zu bewahren vor einem Bild, das er nicht würde vergessen können: ein Kind, das keinen Ausweg gesehen hatte. So etwas sollte es nicht geben dürfen, nirgendwo. Seine Beine verweigerten den Dienst, stemmten sich fast ohne sein Zutun gegen den Vorwärtsdrang, und er blieb stehen, konnte nicht mehr, wollte auch gar nicht, rang vornübergebeugt nach Atem, ein rasselndes Ein und Aus, das ihm in den Ohren rauschte und alles andere überlagerte.
    »Irgendwie hab ich ganz schön Angst. Du?«
    Zinkel richtete sich auf; Lübben war umgekehrt, lehnte an einem Baum, kaum weniger außer Atem.
    »Ja«, sagte Zinkel, es klang wie ein Stoßseufzer, merkte er, aber seltsamerweise war das Seitenstechen plötzlich verschwunden. »Hilft ja nun auch nix«, fügte er hinzu und stapfte wieder los, diesmal vorneweg, angestrengt lauschend, ob die Richtung stimmte. Er hörte die Hundeführerin ein Kommando geben, leise, oder war sie bereits weiter entfernt, als er angenommen hatte? Er hielt inne, um sich zu orientieren, hörte, wie Lübben hinter ihm scharf den Atem einzog, dann erst sah er den Achten zeichnenden Lichtschein einer wild hin und her geschwenkten Taschenlampe.
    »Oh nein!« Lübben stieß hervor, was er selbst nur dachte, und beide stürmten los, ihre Füße stampften hart und rhythmisch, vergessen die Erschöpfung von eben noch, ein unerbittlicher Wettlauf, der keinen Sieger kennen würde.
    Vielleicht, vielleicht, hämmerte es mit jedem Schritt in Zinkels Kopf, hartnäckig bittend, obgleich er bereits wusste, elende Unke, dass alles Flehen vergeblich war: Ihr Scheitern lag förmlich in der Luft, wehte ihn an wie der Rauch eines weit entfernten Feuers, mehr Ahnung denn Gewissheit, wäre da nicht dieser bittere Geschmack auf der Zunge. Und die Wut, die seinen Magen krampfte, diese unbändige Wut.
    Plötzlich waren ihre Schritte nicht länger zu hören. Sie hatten eine kleine Lichtung erreicht, in deren Mitte die Hundeführerin beidarmig winkend ihrer harrte.

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