Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Antonia, die Schlampe, wetten? Na warte …« Die nächste Tür öffnete er eine Spur sanfter. »Kalle, dann musst du das eben bezeugen.«
Zinkel wagte einen Blick in das Zimmer. Kalle würde vorläufig gar nichts bezeugen. Anscheinend lag eine harte Nacht hinter ihm, denn er befand sich noch im Bett, und zwar komplett angezogen, wie ein über den Rand hängendes Bein verriet. Nicht mal die Schuhe hatte er abgestreift. Er öffnete die Augen, und zum Vorschein kam nur das Weiße. Meine Güte, Zinkel stöhnte leise, mussten die beiden denn jedes üble Klischee erfüllen, das man sich nur vorstellen konnte?
Sie folgten Engelbrecht in die Küche, wo er sich auf einen Stuhl fallen ließ. Sein Blick streifte die Kaffeemaschine und irrte dann umher, als suche er nach jemandem, der sie bediente. Nach Kathrin, nahm Zinkel an und verzichtete darauf, sich an den verschmierten Küchentisch zu setzen oder auch nur gegen die Arbeitsplatte zu lehnen, auf der schmutzstarrendes Geschirr zu prekären Stapeln aufgetürmt war. Ohnehin war es besser, wachsam zu bleiben, ein gemütlicher Plausch würde das hier nicht werden.
Auch Lübben blieb stehen. »Wo sind Ihre Eltern?«, fragte er.
»Der Alte ist auf Montage. Unsere Mutter«, er spie das Wort förmlich aus, »hat die Biege gemacht. Schon lange.«
»Sie sind volljährig?«
»Wollen Sie ’n Ausweis?«
»Ich nehme das als ein Ja. Sie werden zum Vorwurf der Misshandlung Ihrer Schwester vernommen. Sie brauchen nichts zu sagen, das Sie selbst belastet, und Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Haben Sie das verstanden?«
»Seh ich aus, als wär ich bescheuert, oder was? Ich brauch keinen Anwalt. Was soll der Scheiß? Kathrin würde mir so was nie anhängen!«
»Leider«, stimmte Zinkel zu und holte einen Beutel mit Wattestäbchen aus seiner Jackentasche. »Dann haben Sie sicher nichts gegen eine Speichelprobe? Wir möchten wenigstens den Verdacht auf sexuellen Missbrauch ausräumen.«
Engelbrecht schreckte kurz zurück, bevor sich seine Miene wieder entspannte. »Warum sollte ich?« Er öffnete bereitwillig den Mund.
Entweder hatte er verhütet, überlegte Zinkel, während er die Probe nahm, oder er schien zu glauben, dass das Ergebnis genauso gut auf seinen Bruder deuten könnte. Oder den Vater. Oder es war überhaupt nichts dran an dem Verdacht. »Wo ist Ihre Schwester?«, fragte er.
»Keine Ahnung. Ich hab ihr gesagt, sie soll zu Hause bleiben. Außerdem ist das eh wurscht, die wird nie was gegen mich sagen.«
»Sie nicht.« Zinkel stoppte um des Effekts willen. »Ihre Leiche schon.«
»Was?« Engelbrecht sprang auf wie angestochen, sein Stuhl krachte gegen die Wand. »Sie wollen mir was anhängen, hä!« Er stützte sich mit geballten Fäusten auf den Tisch und reckte den Kopf angriffslustig nach vorn, die Zähne gebleckt.
»Ja«, gab Zinkel zu. »Sie wollte raus aus diesem Drecksloch, und vor allem wollte sie weg von Ihnen. Einen anderen Ausweg hat sie nicht gesehen. Und dafür kriegen wir Sie dran, verlassen Sie sich drauf.«
»Sie wollen mir aber nicht erzählen, dass sie sich selber abgemurkst hat, oder? Dafür ist sie viel zu feige. Das können Sie mir nicht weismachen.«
»Ist das so?«, erkundigte Lübben sich freundlich. »Na, dann haben Sie wohl nachgeholfen«, folgerte er, »weil Sie’s nicht zulassen konnten, dass sie abhauen wollte. Hätte sie ja auspacken können, und das war viel zu gefährlich, richtig?«
»Zu gefährlich für Sie oder auch für Ihren Bruder?«, übernahm Zinkel wieder.
»Und was ist mit Ihrem Vater?«, warf Lübben ein. »Haben Sie sich wirklich alle über sie hergemacht? Ich könnte kotzen«, fauchte er.
»Wo waren Sie letzte Nacht?«, fragte Zinkel der Vollständigkeit halber.
»Hier, Mann!«
»Waren Sie nicht!«, wetterte Zinkel. »Wir haben eine Streife vorm Haus abgestellt, weil wir Sie nicht angetroffen haben. Wir wollten Ihnen die traurige Nachricht nämlich persönlich überbringen. Nur dass die für Sie so traurig gar nicht war, richtig? Also: Wo waren Sie?«
»Bei ’nem Kumpel.«
»Hat der auch einen Namen?«, fragte Lübben.
»Wird er wohl, kenn ich aber nicht. Ist der Kumpel von ’nem Freund, hab nicht drauf geachtet. Außerdem war ich dicht.«
»Das bezweifle ich.« Zinkel kniff die Augen zusammen.
»Hat der gerade gesagt, dass ich bekloppt bin?«, wandte Engelbrecht sich an Lübben.
»Nein.« Lübben gab sich entrüstet. »So etwas würde er nie behaupten. Ohne Beweise.«
»Aber die«, Zinkel klopfte
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