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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Jetzt ließ sie die Arme sinken und die Taschenlampe ins Gras fallen, legte den Kopf in den Nacken und jaulte den Himmel an. Schaurig, Zinkel war versucht, sich die Hände auf die Ohren zu legen, um diese Trauer nicht hören zu müssen, was machte die Frau überhaupt hier, wenn sie so etwas nicht aushalten konnte? Er ging näher. Und vorbei, sobald er den Hund gewahrte, der im Gras lag, die Vorderpfoten auf den Ohren, hast recht, mein Guter, und mit dem Schwanz einen lautlosen Rhythmus klopfte. Hinter sich hörte er Lübben leise murmeln. Und dann hörte er nichts mehr. Einfach gar nichts.
    Der Baum war im kümmerlichen Licht des Mondes eine pechschwarze Gestalt. Seine arthritischen Äste schlängelten sich wirr nach allen Seiten, wie das Haar der Medusa, und verliehen ihm etwas Menschliches, wenngleich Irres. Wie eine Vogelscheuche, mit der jemand einen üblen Scherz getrieben hatte, hing das Mädchen von einem Seil, ihre Füße kaum eine Handbreit über dem Boden. Kein Puls.

7
    Warteschleife, die ewige Elise, Marilene stöhnte und schaute zum Fenster hinaus. November über Nacht. Grau und trist, ein Anblick, der zu ihrer Stimmung passte und zu ihrer Sorge um Antonia, erst recht um Kathrin. Sie hatte noch nichts gehört.
    Die Nacht war unruhig gewesen, sie hatte ewig nicht einschlafen können. Jedes Mal, wenn sie ganz kurz davor war wegzudösen, war sie wieder hochgeschreckt, weil ihr jemand vors Auto gelaufen war, so real, dass sie bewusst versucht hatte, an etwas anderes zu denken, um dies mit in den Schlaf hinüberzunehmen. Ihr Gehirn hatte nicht mitgespielt, war ständig abgeschweift zu Antonia, Lilian und Leander, bis sie schließlich in ein abstruses Märchen eingetaucht war: Die Schneekönigin lockte Kinder mit Zuckerwatte zu sich, nur um sie dann mit Schnee zu füttern, der ihnen das Kinn hinabtroff wie Brei und einfach nicht schnell genug schmolz, und sie selbst war machtlos dagegen gewesen, war im Eis erstarrt und unfähig, den Panzer zu durchbrechen. Erst der Wecker hatte sie erlöst.
    Sie fühlte sich wie gerädert, hatte bereits Unmengen von Kaffee getrunken und trotzdem zwei Mandantentermine nicht gerade mit Anstand absolviert. Ständig hatte sie auf der Hut sein müssen, ihr Gähnen zu unterdrücken oder als Kieferverspannung zu kaschieren. Die erste Pause des Vormittags hatte sie genutzt, um mit Tewes’ Haushälterin zu telefonieren, und nun wartete sie darauf, endlich verbunden zu werden mit dem Personalchef der Firma, in der Lilian damals gearbeitet hatte. Es klopfte, und Gerrit streckte seinen Kopf zur Tür herein.
    »Morgen.« Er strahlte. »Ich lauf mal ein bisschen durch die Stadt. Bis später, ja?«
    Aus seiner guten Laune schloss sie, dass er erstens ziemlich ausgeschlafen und zweitens vermutlich auf dem Weg zu Antonia war, um den edlen Ritter zu geben. Den die, so oder so, sicherlich gut gebrauchen könnte, einerlei, was Herzog davon halten mochte. Marilene nickte und winkte ihn fort, als sich am anderen Ende der Leitung zu guter Letzt doch noch jemand meldete. Eine Frau, also nicht der Personalchef selbst, rasselte eine Begrüßung runter, von der sie nicht ein Wort verstand. Vorzimmerdamen zu übergehen führte selten zum Ziel, und so formulierte Marilene ihr Anliegen.
    »Da sind Sie bei mir besser dran als beim Chef«, entgegnete die Frau, »der hat nämlich seit damals schon drei Mal gewechselt.« Sie hörte sich an, als hätte sie dabei nachgeholfen, aus sportlichem Ehrgeiz, und wartete nun auf die Siegerehrung.
    »Ja, super.« Marilene versuchte, entsprechende Begeisterung in ihre Stimme zu legen. »Könnten Sie dann für mich herausfinden, aus welchem Grund Lilian Tewes damals gekündigt hat?«
    »Die Unterlagen existieren natürlich nicht mehr, aber ich kann mich noch gut an sie erinnern.«
    Wieder diese Kunstpause, Marilene seufzte innerlich. »Wow«, lobte sie, »nach so langer Zeit?«
    »Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis, aber na ja, die Umstände waren auch, sagen wir, besonders.«
    »Ja?«, fragte Marilene, zu stärkerer Ermunterung reichte ihre Energie heute nicht aus.
    »Sie war ein hübsches junges Ding, aber schrecklich schüchtern. Bis sie auf einer Betriebsfeier ihr wahres Gesicht gezeigt hat. Wie sehr man sich doch täuschen kann, nicht wahr?«
    »Hm, hm«, stimmte Marilene der geistreichen Aussage zu.
    »Sie hat getanzt auf dieser Feier, und das war – wie soll ich sagen? – aufreizend? Irgendwie hatte das was Unanständiges. Und auf jeden Fall war es dem

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