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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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versetzen.
    In diesen ganzen Jahren hatten meine ehemaligen Vormunde, Sergei und Tatjana, im Untergrund gelebt. Auch sie dürsteten nach Rache, und jetzt war die Stunde gekommen. Sentís wusste, dass Floriáns Einheit am nächsten Tag eine Durchsuchung unseres Hauses beim Park Güell plante, um die mutmaßlichen belastenden Beweise gegen Michail zu finden. Wenn diese Durchsuchung stattfände, würden Sentís’ Lügen und Betrügereien auffliegen. Kurz vor zwölf Uhr gossen Sergei und Tatjana um unser Haus herum mehrere Kanister Benzin aus. Sentís, immer der Feigling im Schatten, sah vom Auto aus die ersten Flammen züngeln und machte sich dann dünn.
    Als ich erwachte, stieg der blaue Rauch die Außentreppen hinauf. Das Feuer breitete sich in Minutenschnelle aus. Luis erlöste mich und rettete uns das Leben, indem er vom Balkon auf den Garagenschuppen und von dort in den Garten sprang. Als wir uns umwandten, hüllten die Flammen die ersten beiden Etagen vollkommen ein und leckten nach dem Turm, wo wir Michail eingeschlossen hatten. Ich wollte ins Feuer zurücklaufen, um ihn zu retten, doch Luis beachtete mein Geschrei und meine Schläge nicht und hielt mich in seinen Armen fest. In diesem Augenblick entdeckten wir Sergei und Tatjana. Sergei lachte wie ein Irrer. Tatjana zitterte wortlos. Was danach geschah, daran erinnere ich mich wie an eine Szene aus einem Albtraum. Die Flammen hatten die Turmspitze erreicht, die Fenster barsten in einem Scherbenregen. Unversehens erschien eine Gestalt im Feuer. Ich glaubte zu sehen, wie ein schwarzer Engel sich auf die Mauern stürzte – Michail. Wie eine Spinne krabbelte er über die Wände, an die er sich mit eigens konstruierten Metallklauen klammerte. Er bewegte sich in haarsträubendem Tempo. Sergei und Tatjana beobachteten ihn sprachlos und verstanden nicht, wie ihnen geschah. Der Schatten stürzte sich auf sie und schleifte sie mit übermenschlicher Kraft ins Innere. Als ich sie in dieser Hölle verschwinden sah, verlor ich die Besinnung.
    Luis brachte mich an die einzige Zufluchtsstätte, die uns noch geblieben war, die Ruinen des Teatro Real. Es ist bis heute unser Zuhause. Am nächsten Tag verkündeten die Zeitungen die Tragödie. Auf dem Diwan waren zwei verkohlte Leichen in enger Umarmung gefunden worden. Die Polizei nahm an, es handle sich um Michail und mich. Nur wir wussten, dass es in Wirklichkeit Sergei und Tatjana waren. Eine dritte Leiche wurde nie gefunden. Am selben Tag gingen Shelley und Luis zum Gewächshaus, um Michail zu suchen. Sie fanden keine Spur von ihm. Die Verwandlung war beinahe abgeschlossen. Shelley nahm seine sämtlichen Papiere, Pläne und Schriftstücke an sich, um keine Beweise zurückzulassen. Er studierte sie wochenlang in der Hoffnung, in ihnen den Schlüssel zu finden, um zu Michail zu gelangen. Wir wussten, dass er sich irgendwo in der Stadt verbarg, abwartend und seine Verwandlung vervollständigend. Dank seinen Schriften kam Shelley hinter Michails Plan. Die Tagebücher beschrieben ein Serum aus der Essenz der Schmetterlinge, die er jahrelang gezüchtet hatte, das Serum, mit dem ich ihn in der Fabrik der Velo-Granell eine Frau hatte zum Leben erwecken sehen. Schließlich wurde mir klar, was er vorhatte. Michail hatte sich zum Sterben zurückgezogen; er musste sich von seinem letzten Hauch Menschlichkeit befreien, um auf die andere Seite gelangen zu können. Wie der schwarze Schmetterling sollte sich auch sein Körper eingraben, um aus der Finsternis zu auferstehen. Und wenn er zurückkäme, würde er es nicht mehr als Michail Kolwenik tun, sondern als Bestie.«
     
     
    Ihre Worte hallten im Gran Teatro Real wider.
    »Monatelang hörten wir nichts von Michail, und auch sein Versteck fanden wir nicht«, fuhr Ewa Irinowa fort. »Im Grunde hegten wir die Hoffnung, sein Plan möchte scheitern. Wir sollten uns irren. Ein Jahr nach dem Brand suchten zwei Inspektoren, alarmiert durch einen anonymen Anruf, die Velo-Granell auf. Natürlich wieder einmal Sentís. Da er nichts mehr von Sergei und Tatjana gehört hatte, vermutete er, Michail sei noch am Leben. Die Fabrikgebäude waren von Amtes wegen geschlossen, niemand hatte Zutritt zu ihnen. Die beiden Inspektoren ertappten einen Eindringling. Sie schossen ihre Magazine auf ihn leer, aber …«
    »Aus diesem Grund wurden die Kugeln nie gefunden.« Ich erinnerte mich an Floriáns Worte. »Kolweniks Körper nahm die ganzen Schüsse in sich auf …«
    Die alte Dame nickte.
    »Man fand die

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