Mark Beamon 01 - Der Auftrag
Wand war inzwischen so mit Kugellöchern durchsiebt, dass er allmählich jede Bewegung auf der anderen Seite erkennen konnte. Voller Panik wurde ihm klar, dass er hier keine weiteren fünfzehn Sekunden mehr überleben würde. Das Gefühl der Unsterblichkeit, das man in seinem Alter praktisch von Natur aus besaß, war ganz plötzlich verschwunden, und zum ersten Mal konnte er sich vorstellen, tot zu sein.
Es fiel ihm schwer zu atmen und allmählich noch schwerer, etwas zu sehen. Die Lampe in der Ecke hatte DCs erste Salve nicht überlebt. Rauch, Mörtelstaub und kleine Gesteinspartikel trieben in der Luft, dass seine Augen brannten und er fast erstickte. Tek ließ die leere Pistole fallen und warf sich auf den Bauch. Der Schimmelgestank im Teppich vermischte sich mit dem durchdringenden Pulvergeruch.
Er musste irgendwie hier raus. Durch die Bretter vor dem Fenster drangen ein paar spärliche Lichtstrahlen, die rasch von der dicken Luft verschluckt wurden. Mit angehaltenem Atem rappelte er sich auf, rannte geduckt zum Fenster und sprang mit dem Kopf voran dagegen. Er rechnete fest damit, entweder jeden Moment erschossen zu werden oder halb bewusstlos auf dem Boden liegen zu bleiben. Doch die Bretter waren so verfault und durch die Schüsse noch mürber geworden, dass sie zu seiner eigenen Überraschung nicht mehr Widerstand boten als Glas.
Er landete in dem mit Müll übersäten Hof neben dem Haus. Mühsam schaffte er es, sich aufzurappeln und um die Ecke zu humpeln. Twan stand mit seiner Uzi in der Tür, die inzwischen offen war, ballerte wild in den Raum und brüllte dabei wüste Beschimpfungen.
»Los, weg hier!«, rief Tek.
Trotz der knatternden Gewehrschüsse hörte ihn sein Freund, und sie liefen Seite an Seite den Weg zurück, den sie gekommen waren. Tek riss Twan die Waffe aus der Hand und gab blindlings einige Schüsse ab, um jeden abzuschrecken, der etwa auf die Idee kam, sie zu verfolgen.
In einem der Nachbarhäuser schlief Katerina Joy Washington in einem voll gestopften Wohnzimmer auf einer Couch. Schüsse waren für sie nicht ungewöhnlicher als ein Lachen oder das Brummen von Automotoren, und sie regte sich kaum. Gestern war ihr dritter Geburtstag gewesen, und sie hielt noch immer die Puppe umklammert, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte. Sie hatte sie den ganzen Tag über nicht aus den Händen gelassen.
Wenn jemand neben dem Sofa gestanden und in ihr ruhiges Gesicht geschaut hätte, wäre ihm vermutlich nichts weiter aufgefallen. Ihr Kopf ruckte einmal leicht, als ob sie geniest oder vielleicht schlecht geträumt hätte. Dann lag sie ganz ruhig da. Ein roter Fleck breitete sich hinter ihrem Kopf aus wie ein Heiligenschein.
2. Kapitel
Greenbelt, Maryland 15. Oktober
Unruhig lief Reverend Simon Blake unter den grellen Scheinwerfern auf und ab und spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunter rann. Er blieb kurz stehen und wischte sich über die Stirn.
»Es gibt etwas Wichtiges, über das ich mit euch reden will. Es ist etwas, das unsere Familien bedroht, unser Land – ja, sogar Christus selbst«, vertraute er den fünftausend eifrigen Gesichtern an, die zu ihm aufschauten. Er hielt das Mikrofon dichter an seine Lippen, während er wieder auf und ab zu laufen begann.
»Es ist Satans größte Waffe. Sein größter Fluch – Drogen.«
Der wöchentliche Gottesdienst näherte sich langsam dem Ende. Neben seinen Predigten hatte es zwei Stunden lang mitreißende Musik gegeben, Interviews mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und neue erbauliche Geschichten. Die Show wurde in drei Sprachen übersetzt und in sieben Länder ausgestrahlt. Ein achtes Land würde nächste Woche hinzukommen, falls seine Anwälte ihre unverschämt hohen Gehälter wert waren.
Hoch ragten die Wände seiner Kirche über ihm auf; trotzdem wirkte er darin nicht klein und verloren. Im Gegenteil, er schien eins zu sein mit dem gewaltigen Gebäudekomplex aus Beton und Glas. Eins mit der wachsenden Erregung seiner Gemeinde.
Bei seinen Worten, die dank einer supermodernen PA-Anlage durch die Kirche hallten, horchte die Menge merklich auf. Wenn es um Sex und Drogen ging, konnte man sich immer ungeteilter Aufmerksamkeit sicher sein.
Vor fünfzehn Jahren hatte er in seinen Predigten noch von Gottes Liebe und Erlösung gesprochen und geglaubt, er könne von seiner kleinen Kapelle im westlichen Maryland aus die Welt mit einer schlichten Botschaft der Hoffnung verändern. Damals war er noch so naiv gewesen.
Im Lauf der
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