Mark Beamon 01 - Der Auftrag
zersprang.« Er machte eine Pause. »Die Polizei sagt, ein paar Drogendealer seien in Streit geraten, und diese guten christlichen Jungen waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.« Blake wandte sich um und schaute auf zu der großen Skulptur des gekreuzigten Jesus vor den Orgelpfeifen im Bühnenhintergrund. »Zur falschen Zeit am falschen Ort«, wiederholte er, an den Erlöser gewandt, mit brechender Stimme.
Das war das Stichwort für die Techniker in der Kabine, ein Video einzuspielen, das einen lachenden Bobby McEntyre zeigte, der mit seinem jüngeren Bruder ausgelassen Football spielte. Als diese Bilder auf den Monitoren in der Kirche und gleichzeitig auf den Fernsehschirmen von Millionen Zuschauern erschienen, begann eine Frau im Publikum laut zu weinen. Er ging zum Rand der Bühne und blinzelte ins Scheinwerferlicht.
»Mr. und Mrs. McEntyre, kommen Sie bitte zu mir.« Er streckte seine Hand aus, um einer pummeligen Frau Anfang vierzig auf die Bühne zu helfen. Ihr Ehemann folgte ihr. Beide hatten Tränen in den Augen. Blake nahm sie fest in seine Arme und drehte sie herum, sodass sie ins Publikum und in die Kameras schauten.
»Ich wollte, dass die McEntyres zu mir heraufkommen, damit wir alle unser Mitgefühl bekunden und ihnen sagen können, dass wir sie in unsere Gebete einschließen.« Die Gemeinde murmelte zustimmend. »Außerdem wollte ich ihnen sagen, dass ich in Bobbys Namen ein Stipendium für die Lord’s Baptist University gestiftet habe.«
Die McEntyres umarmten Blake, drückten unter Tränen ihre Dankbarkeit aus und stammelten, wie glücklich ihr Sohn darüber gewesen wäre. Einige in der Menge applaudierten. Blake schaute den McEntyres hinterher, als man sie zu ihren Sitzplätzen in der ersten Reihe zurückführte.
»Ich weiß, dass Bobby nun im Paradies ist, doch in seinem Herzen muss große Traurigkeit herrschen, dass er so eine wundervolle Familie verlassen musste.«
Ein Mann am Bühnenrand gab ihm ein Zeichen, dass nur noch fünf Minuten Sendezeit übrig waren. Blake sah es aus den Augenwinkeln, nickte kaum merklich und ging zurück zum Ambo. Man musste darauf achten, dass die Realitäten des Fernsehens nicht die Spannung zerstörten und die Gläubigen aus dem Gefühl rissen, die Gegenwart Gottes zu spüren.
»Ich will, dass jeder in dieser Kirche und jeder, der uns daheim zuschaut, sich an dem erbitterten Kampf des Herrn gegen die Drogen beteiligt. Schreibt an euren Kongressabgeordneten! Schreibt eurem Senator! Schreibt dem Präsidenten! Sagt ihnen, dass wir die Nase voll haben!« Blake schlug mit der Faust aufs Pult, was über die PA-Anlage wie eine Explosion klang.
»Wartet nicht bis morgen – schreibt noch heute«, drängte er. »Wir können Amerika von den Dealern zurückerobern, aber wir müssen endlich damit anfangen! Ich will nicht noch mehr Eltern in meiner Gemeinde so leiden sehen wie die McEntyres.«
Er ging zurück zur Bühnenmitte, wo er beide Arme hoch in die Luft hob.
»Gott segne euch alle«, rief er. Dank der Mikrofone und der fast perfekten Akustik des Gebäudes drang seine Stimme in alle Winkel. Es war seine übliche Schlussformel, die das Ende des Gottesdienstes einleitete.
Der Chor stimmte sein letztes Lied an, während Blake durch eine unauffällige Tür im Bühnenhintergrund verschwand.
Dort wartete bereits sein Chauffeur auf ihn. »Direkt zurück ins Büro, Reverend?«
»Ja. Schaffen wir es bis halb zwei dorthin?«
Carl schaute auf seine Uhr und runzelte die Stirn. »Hängt vom Verkehr ab, aber ich tue mein Bestes.«
Fast lautlos glitt die große schwarze Limousine durch den leichten Nachmittagsverkehr, was dem Mann hinter dem Steuer zu verdanken war. Blake saß auf dem Rücksitz, nippte an einer Cola und blätterte durch die Washington Post . Die New York Times und die LA Times lagen unberührt neben ihm auf dem weichen Ledersitz.
Auf der Titelseite der Post prangte das Bild eines jungen Farbigen. Es war unverkennbar ein altes Schulfoto. Man sah dem Jungen förmlich an, wie unbehaglich er sich mit ordentlich gekämmtem Haar und blütenweißem Kragen fühlte. Blake überflog den Artikel und zog eine Grimasse, als er die ersten Absätze las.
Der Bericht handelte von einem Jungen, der im Zentrum Washingtons lebte und sich wiederholt geweigert hatte, Drogen zu probieren, trotz des wachsenden Drucks seiner Freunde. Seine Haltung hatte die Drogendealer der Gegend derart provoziert, dass sie auf die Idee verfallen waren, ihn mit Benzin zu
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