Mark Brandis - Raumsonde Epsilon
Alles weitere lag klar auf der Hand.
»Lieutenant Mercier!«
»Sir!«
»Ich möchte, daß Sie einen Blinkspruch an Captain d’Arcy absetzen!«
»Aye, aye, Sir! Welchen Inhalts?«
Ich blickte hinab auf den Schauplatz der nächtlichen Tragödie. Der Sonnensturm hatte sich gelegt. Aus den Gebirgen und Staubwüsten des Uranus war alle Farbe gewichen. Nie zuvor war mir ihr Anblick so trostlos erschienen. Wer immer darauf zurückblieb, würde begreifen lernen, weshalb man vom Planeten der Verdammten sprach.
Lieutenant Mercier wartete auf Antwort.
»Commander Brandis an Seine Majestät, den Sonnenkaiser! Pirata communis hostis omnium! Der Pirat ist jedermanns Feind!«
Danach ließ ich mir von Lieutenant Stroganow den annähernden Kurs zur Epsilon-Bootes-Sonde geben, steuerte ihn ein und schaltete auf Automatik. Der Bordcomputer übernahm die Schiffsführung.
Nun endlich löste ich mich aus den Gurten und stand auf.
Vor mir lag – mochte er auch nur aus einigen wenigen Schritten bestehen – ein schwerer Gang.
Captain van Kerk hatte sich im Ruheraum ausgestreckt. Bei meinem Erscheinen richtete er sich auf. »Sir«, sagte er, »ich bin froh, Sie zu sehen!«
Ich setzte mich zu ihm. »Wie fühlen Sie sich, Captain?«
Captain van Kerk schüttelte den Kopf. »Bis jetzt, Sir, spüre ich nichts. Keine Schmerzen. Nur elend ist mir – verdammt elend.«
Kapitel 16
Auf die Aufregungen der vergangenen Wochen folgten ruhige Tage unter den Sternen, während deren die Zeus unbeirrbar ihre Bahn zog. Das Gefühl, wieder frei zu sein, läßt sich kaum schildern. Es beherrschte uns bei Tag und bei Nacht und ließ uns sogar die drückende, spartanische Enge vergessen, in der zu leben wir genötigt waren. Im Vergleich mit der bequem und großzügig ausgestatteten Hermes glich der Schwere Kreuzer einem fliegenden Behelfsheim.
Für mich bedurfte es dieser Ruhe, um mit mir ins reine zu kommen. Nirgendwo vermag man klarer zu denken als im Reich der Sterne. Die Unwichtigkeiten, die einem so oft den Blick verstellen, treten zurück. Die Unendlichkeit läßt nur gelten, was ihr verwandt ist.
Die Befehle waren klar. Minister Nekrassow selbst hatte mit mir gesprochen. In den Vereinigten Orientalischen Republiken meuterten die Militärs. Die Beschlagnahme der Hermes durch Oberst Khan war nur bis zum Zeitpunkt der Landung auf dem Uranus durch seine Regierung gedeckt. Auf ihn wartete eine kriegsgerichtliche Untersuchung wegen »unerlaubter Entfernung«.
Alle unmittelbaren Entscheidungen waren in meine Hand gelegt. Der Auftrag lautete unverändert: Bergung und Einschleppung der Epsilon-Bootes-Sonde – vermehrt um den Zusatz: Rückeroberung oder Vernichtung der Hermes. Samt meiner Besatzung stand ich weiterhin unter Militärrecht. Am Befehl gab es nichts zu deuteln. Die EAAU erwartete, daß wir, vom Commander bis zum Schiffskoch, unsere Pflicht taten.
Um so mehr dachte ich über die Epsilon-Bootes-Sonde nach – das heißt weniger über sie selbst als vielmehr über die charakterliche Veränderung, die sie bei fast allen Menschen, die mit ihr zu tun hatten, bewirkte. Den Stein der Weisen hatte Captain d‘Arcy sie einmal genannt – als ob Macht und Weisheit ein und dasselbe wären. Zutreffender war schon jene andere Bezeichnung: Büchse der Pandora. Wer immer sie auch zu öffnen trachtete, erlag dem in ihr enthaltenen bösen Geist. Captain d‘Arcy hatte diesen Duft der Versuchung in sich eingesogen und war daran zugrunde gegangen. Und nun folgte auch Oberst Khan – stellvertretend für die hohen VOR-Militärs – der gleißnerischen Verführung, die sich in ein einziges Wort fassen ließ: MACHT.
Und ich selbst? Leuchteten nicht auch meine Augen, wenn ich von der Epsilon-Bootes-Sonde sprach? Es war nicht zu leugnen: Auch ich war ihr bereits verfallen. Freilich, als Instrument der Macht ließ sie mich kalt. In mir regte sich das Blut des Piloten. Der Schlüssel zu einem neuen Universum wartete auf uns Astronauten. Ich träumte von fernen, fremden Sonnen und unbekannten, namenlosen Sternen.
Inzwischen siechte Captain van Kerk dahin.
Er war nicht mehr in der Lage, den Ruheraum zu verlassen. Gefaßt und ohne zu klagen, ertrug er die qualvollen Schmerzen, die selbst mit den schwersten Betäubungsmitteln aus der Bordapotheke kaum zu lindern waren, außer wenn er das Bewußtsein verlor.
Ihm war nicht mehr zu helfen; sein ganzer Organismus war verseucht. Selbst ein Abbruch des Fluges hätte ihm keine Rettung gebracht. Der Kunst der Ärzte
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