Mark Brandis - Testakte Kolibri
verbrachte ich, wie man mir später sagte, in Bewußtlosigkeit. Dann klang die Schockwirkung ab, ich kam zu mir und lebte, wenn auch unter Schmerzen, auf.
Äußerlich war ich zwar unverletzt, aber ein paar Rippen waren angebrochen und drückten nun auf die Lungen. An meine Entlassung aus dem Krankenhaus war unter diesen Umständen, obwohl ich sie wiederholt forderte, vom ärztlichen Standpunkt aus nicht zu denken.
Sobald ich wieder eines klaren Gedankens fähig war, begann ich meinen Unfall zu analysieren, wobei freilich nicht viel herauskam. Eine Antwort auf die Frage nach der Ursache des Triebwerkversagens fand ich nicht. Desto ungeduldiger wartete ich auf den Bericht aus Metropolis, wohin man die Überreste meines Kolibris geschafft hatte.
Jordan brachte ihn mir schließlich, und bereits der Art und Weise, wie er ihn mir überreichte, ließ sich entnehmen, daß die Untersuchungen auch diesmal wieder zu keinem Ergebnis geführt hatten.
»Viele Worte«, sagte er, »aber nur zwei davon sind wichtig: Unfallursache unbekannt .«
Das war an einem jener Tage, als ich noch nicht einmal aufstehen durfte. Man hatte mir einen Gefallen tun wollen und ein Zimmer gegeben, von dem aus ich hinausblicken konnte auf das Meer. Doch sein Anblick beschwor nur immer wieder die bösen Erinnerungen herauf. Auf meine Bitte hin verdunkelte Jordan die Scheiben, bevor er sich einen der Sessel heranrollte.
»Man hat also nichts herausgefunden?«
»Nichts – aber das war eigentlich zu erwarten. Viel mehr als ein Teil vom Rumpf und ein verbeultes Cockpit war von Ihrem Schiff ja nicht übriggeblieben.«
»Und das Triebwerk?« fragte ich. Jordan neigte den Kopf zur Fensterseite.
»Liegt noch irgendwo da draußen. Forester sucht danach – aber mir scheint, ebensogut könnte man nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen suchen. Man wird es wohl abschreiben müssen – und damit sind wir wieder so klug wie zuvor.«
Nichts war durch meinen Unfall bewirkt worden – außer daß VEGA einen weiteren Kolibri eingebüßt hatte. Der Wurm, der an dem Projekt nagte, hatte sich in sein Versteck zurückgezogen.
Die Bilanz der Versuche war niederschmetternd, und dieses Ergebnis war mit insgesamt acht verlorenen Schiffen bezahlt worden: fünf vor, drei zu meiner Zeit als verantwortlichem Projektleiter. Immer noch standen wir an jenem Punkt, an dem alles begonnen hatte. Seit dem April waren wir nicht einen einzigen Schritt weitergekommen.
»Was sagt Harris?«
Jordans schwarzes Gesicht wurde zu einer Grimasse. »Er übermittelt Ihnen die besten Genesungswünsche. Die Blumen auf Ihrem Nachttisch sind übrigens von ihm.« Jordans Sarkasmus war nicht zu überhören. »Und er fragt an, ob er Ihnen jemand schicken soll, der Sie vorübergehend vertritt.«
»Und wen schlägt er vor?«
»Sich selbst.«
Ich mußte mich unvorsichtig bewegt haben, denn mein Brustkorb begann zu schmerzen. »Richten Sie ihm aus, daß ich dankend verzichte!«
Bei aller Hochachtung, die ich für Harris empfand, wollte ich ihn jetzt nicht auf Espiritu Santu haben. Es ist schwer zu erklären, was in mir vorging – aber seitdem ich wieder denken konnte, hatte ich mich in das Kolibri -Projekt verbissen und war nicht gewillt, es mir aus der Hand nehmen zu lassen.
Meine Sinneswandlung entsprach der eines Menschen, der eine unsichtbare Grenze überschreitet und fortan ein anderer ist. Hatte ich von Harris je im Ernst meine Ablösung gefordert? Auf einmal erschien mir das als völlig absurd und unglaublich. Das Duell mit dem Wurm war zu meiner persönlichen, privaten Angelegenheit geworden – und die Liste dessen, was ich ihm heimzuzahlen hatte, war lang. Er hatte meine besten Piloten auf dem Gewissen. Ihn dafür zu bestrafen konnte nicht Harris‘ Aufgabe sein.
Im übrigen ging es mir ähnlich wie Vargas: seit ich festgesessen war, glaubte ich die Lösung ganz nahe vor mir zu haben. Das Bild des Raumschiffs in der schwarzen Meerestiefe wurde überlagert von dem Kolibri , wie er gleißend in der Montagehalle der Mondbasis stand. Warum sah ich dies vor mir?
Jordan sagte: »In diesem Fall, Sir, bitte ich um Instruktionen. Der Flugbetrieb ruht.«
Das Team überließ es mir, die Entscheidung zu treffen. Ich überlegte. Die Ärzte sprachen davon, daß ich noch mindestens vierzehn Tage in stationärer Behandlung bleiben müßte. Den Flugbetrieb bis zum Tag meiner Entlassung ruhen zu lassen war unmöglich; dies hätte zwangsläufig Harris auf den Plan gerufen, und das wollte ich
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