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Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Titel: Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Majowski
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getan: Lumpi ist kaum im Haus, schon stellt er sich schützend vor meine Mutter und verbellt jeden, der ihr nicht angemessen freundlich begegnet. Er ist der geborene Wachhund mit einem durchdringenden, bisweilen nervtötenden Bellen. Es wird eine wunderbare Kindheit mit ihm, wir gehen durch dick und dünn miteinander. Er hat nicht nur meine Mutter, meinen Vater und uns Kinder verzaubert, vor allem meine liebe Omi erkennt seinen klugen und durch und durch guten Charakter. Er erhält den Beinamen „Lumpazius Vagabundi“, und Omi schafft es, ihm einige Kunststücke beizubringen, die er allerdings auch nur für sie aufführt. Indem sie ihn beispielsweise höflich bittet: „Lumpi hättest du bitte die Güte, Frauchen ihr Brillenetui zu bringen?“, weckt sie bei unserem hellbraunen Streuner ungeahnten Qualitäten. Was auch immer sie an kleinen Dingen im Alltag benötigt, er bringt sie ihr. Und das Beste ist, dass er sogar sein Bellen unterdrückt und nur noch bebend knurrt, wenn ich ganz nach Omis Vorbild sage: „Lumpi, hättest du bitte die Güte, endlich ruhig zu sein?“ Er wird siebzehn Jahre alt, stirbt in meinen Armen und hinterlässt eine große Lücke in unserem Leben.
    Mitten durch den Glieniker See führt die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Über Wasser schwimmen alle zwanzig Meter weiße Bojen. Mein bester Freund C. und ich werden immer wieder von unseren Eltern davor gewarnt. Aber es ist uns 15-Jährigen völlig egal, dass es gefährlich sein soll, nah an diese Bojen heranzuschwimmen. Im Gegenteil: Dadurch wird das Ganze ja erst interessant. Es ist für uns unvorstellbar, dass Deutsche auf Deutsche schießen könnten. Genauso unvorstellbar wird es uns sein, dass uns Drogenkonsum schaden könnte. Wir bleiben in unserer Abhängigkeit, Seite an Seite, bis weit in unsere Dreißigerjahre hinein. Ich kann mich schließlich aus der Sucht befreien und sehe C. nicht mehr wieder. Wenn er diese Zeilen lesen sollte, sende ich ihm Kraft.
    Als West-Berliner empfinde ich die innerdeutsche Mauer nicht direkt als Bedrohung. Sie kommt mir einfach nur absurd vor. Eines Tages, auf dem Weg in den Urlaub, fragt ein Grenzposten der DDR uns: „Haben sie etwas zu verzollen? Hieb- oder Stichwaffen im Gepäck?“ Meine Mutter antwortet naiv und mit einem Lächeln: „Nein, der Herr! Nur die Waffen einer Frau!“ Drei Stunden später sind wir komplett durchgefilzt und haben Angst, dass etwas noch Schlimmeres passiert. Wir kommen davon, und als wir wieder auf der Autobahn sind, entlädt sich die Anspannung in einem großartigen Gelächter. Ich sage damals zu meinem Vater: „Papi, die Mauer bleibt nicht ewig. Sie wird dich nicht überleben!“
    Er ist oft auf Orchestertournee. Ab 1970 reist er gern mit uns ins Ausland, immer mit dem Auto. Gerne fahren wir in die Schweiz an den Luganer See oder nach Italien. So kommt es, dass ich mindestens einmal im Jahr auf dem Markusplatz in Venedig stehe. Ein Foto mit einer Taube auf meiner Hand gehört dazu.
    Ich sehe meinen Vater in seinem dunkelgrauen Lodenmantel vor mir, wie er die Hand zum Gruß hebt und ruft: „Horrido, mein Junge!“ Der fröhliche Jägergruß gehörte bei ihm einfach dazu. Es ist Mittag, die Sonne hat sich versteckt. Den schwarzen Hut hat er etwas schief auf den Kopf gesetzt, es nieselt. Gerade ist er seinem Auto entstiegen, die knapp sechshundert Kilometer von Berlin nach Dinkelsbühl hat er in einem Rutsch hinter sich gebracht, und ich bin unglaublich stolz auf ihn. Ich bin in meinem ersten beruflichen Theater-Engagement. „Vater ist da!“ Ich bin ganz der aufgeregte Eleve. Die langen Haare fallen mir immer wieder ins Gesicht. Mein Vater, der Held meiner Kindheit, streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und knufft mich. „Du bist schlank, deine Augen sind wach, und du bist zur verabredeten Zeit am richtigen Ort! Das mit Dinkelsbühl scheint dir gut zu bekommen!“ Sein Blick gleitet über den Himmel und ruht dann auf den Fensterscheiben seines Autos. Vater hat immer seine „Braut“ dabei, wie er sein Musikinstrument liebevoll nennt – auch heute. Er nimmt den großen braunen Kasten vom Rücksitz. Die Straße hinter uns fällt steil ab, auf dem Kopfsteinpflaster rutsche ich ihm eifrig entgegen. „Lass mich!“ Ich spüre das Gewicht, noch bevor ich den Koffer aus seiner Hand empfange. Ich drücke Vater einen flüchtigen Kuss auf die Wange, atme den Duft seines Aftershaves ein. Ich halte ihm die schwere schmiedeeiserne Tür zu meiner Wohnung auf, während

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