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Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Titel: Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Majowski
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dem Sprung war.
    Ich hatte damals die Waagschale meines Wesens lediglich halb gefüllt. Warum? Hatte ich Angst vor meiner dunklen Seite? Ja! Vor Berlin und meinem Bekanntenkreis rannte ich einfach weg. Ich wollte aufhören mit meiner Selbstzerstörung. Doch kapitulierte ich nicht. Gegen den Rat meiner Schauspiellehrerin Else Bongers ging ich in die Provinz. Vorsprechen in Nürnberg, Ingolstadt, Heilbronn und Dinkelsbühl. Ein Regisseur in Nürnberg machte mir Hoffnung. Er meinte, ich sei eventuell genau die richtige Besetzung für den Moritz Stiefel in Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Meine Rolle schlechthin: Der Junge mit dem Kopf unterm Arm. Die Intendanten und Dramaturgen in den übrigen Städten waren irritiert von mir. Ich hatte in Anzug und Krawatte vorgesprochen und war zu allen Leuten, die irgendwie nach Chef aussahen, übertrieben höflich. Das liegt mir in den Genen. Ein gewisser Klaus Troemer am Fränkisch-Schwäbischen Städtetheater Dinkelsbühl war schließlich der perfekte Partner für mich. Väterlich und zugleich sehr lustig. Ich warf zum ersten Mal bei einem Vorsprechen meine Krawatte in die Ecke und war einfach nur Markus. Und der Klaus wollte mich sofort. Ich unterschrieb meinen ersten Theatervertrag.
    Alle außer meinem Vater haben damals gerufen: „Der Junge gehört in die Hauptstadt. Hier kann er Karriere machen.“ Wenn die gewusst hätten! Nach kurzer Zeit wäre ich aus dem Fenster gesprungen, so sehr stand ich in Berlin unter Strom. Mein Vater sah meinen Weggang aus der Perspektive des Künstlers: Die wichtigen Lehr- und Wanderjahre standen seinem Sohn bevor.
    Und nun ist er bei mir, Whiskey, Cello und Akkordeon und eine echte Vater-Sohn-Zeit. Was haben wir uns die Birne begossen in jener Nacht! Und das kleine Pfarrhaus, in dem ich lebe, machten wir in den nächsten Tagen nach allen Regeln der Kunst wohnlich.
    Ich spüre, dass Vater neugierig auf mein neues Leben ist. Er hört die Freiheit in meiner Stimme. Freiheit, die sich in mir entfaltet. Er ist sehr aufmerksam, mein kleines Geheimnis ahnt er noch nicht einmal.
    Bei unserer gemeinsamen Wohnungsverschönerung verwirklicht Vater sich in gewisser Weise selbst. Das kleine Pfarrhaus braucht eine Vorhangabtrennung, da mein Bett quasi in der Küche steht. Das war seine Idee, die Küche mit einem Vorhang vom Bett zu trennen! Während ich Proben habe, besorgt er Stangen und Halterungen. Das Zusammenschrauben und Befestigen erledigen wir gemeinsam. Auch den Vorhangstoff für die Küche suchen Vater und ich gemeinsam aus und einen schweren Türfilz gegen die Kälte von draußen. Er erzählt mir bei Brot, Wurst und Bier Anekdoten von seinen Studenten beim „Schleswig-Holstein-Musikfestival“, wo er eine Dozententätigkeit übernommen hatte. „Am fleißigsten sind die Japanerinnen. Die üben bis zum Umfallen und vergessen zwischendurch zu essen und zu trinken. Am Abend knicken sie einfach vom Stuhl, wenn sie Mal ein Glas Wein trinken!“ Ich kenne diese Wirkung von Alkohol nach dem Sport und pruste los. „Klar!“
    „Markus, so ähnlich war das am Anfang bei mir auch“, sagt Vater. „Ach?“ „Ich war oft einfach nicht von dieser Welt.“ „Ach so?“ Die Geschichte, wie er sich als Junge in den wenigen Pausen vom Cello-Üben die buschigen Augenbrauen rasiert hatte, bis sie schließlich ganz verschwunden waren, erinnert mich an ähnliche Erlebnisse mit meiner eigenen übermäßigen Körperbehaarung. Ich habe Mal versucht, eine Irokesen-Frisur über mehrere Wochen am ganzen Körper zu pflegen. Die letzen Worte meiner damaligen Freundin waren: „Guck dir meine rote Haut an und sag nichts! Gar nichts, Markus.“ Sie gab mir einen Luftkuss und ging. Den Luftkuss habe ich ihr geklaut und praktiziere ihn noch heute als Zeichen anspruchsloser Zuneigung.
    Heute – dieses Wort ist mir so vertraut. Ich spüre das heute, während ich meine Geschichten aufschreibe. Ich habe Angst davor, dass ich missverstanden werde. Bin ich wirklich verrückt? Ich ackere ein paar Stunden in meinem stillen Kämmerlein, schreibe, wälze Bücher und probiere Monologe für die nächste Theaterproduktion. Und im Anschluss bin ich meistens so transparent und albern, dass mich mein Sohn praktischerweise nur noch an meiner Bürotür abfangen muss. Ich gehe dann als Zirkuspferd durch, bin geduldig und voller Ausdauer. Ich bin ein bisschen verrückt …
    In Dinkelsbühl darf ich mir endlich die Hände schmutzig machen. „Richtig mit anpacken ist hier gefordert.“

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