Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
Geschwister verstehen uns gut und wollen etwas aushecken. Zwei Herrschaften, die alleine an getrennten Tischen sitzen, fallen uns auf. Sie sind einsam. „Die werden wir miteinander verkuppeln! Das wäre doch gelacht!“, überlegen wir uns. In den nächsten Tagen schreibe ich fingierte Liebesbriefe an die Dame und Sabine an den Herren. Nadja ist geschickt bei der Übergabe. Titania und Oberon und Puck übernehmen die Führung. Es dauert, aber sie beißen an und verabreden sich. Treffpunkt: Sonnenterrasse. Wie romantisch! Als wir das Rätsel auflösen, spielen sie eisiges Schweigen. Dann gibt es schallendes Gelächter auf beiden Seiten. Sie haben längst unseren Streich durchschaut und ihr eigenes Spiel mit uns getrieben. Im nächsten Jahr erfahren wir, das die Herrschaften geheiratet haben. Sehr verbindlich das Ganze!
Schon als kleines Kind zeigt sich mein schauspielerisches Talent. Ich lebe es gerne in Rollenspielen aus. Dabei schlüpfe ich zum Beispiel in die Rolle eines gefährlichen schwarzen Panthers. Mein Freund spielt den Naturforscher, der mich, die Wildkatze, zähmen muss. Das beginnt damit, dass er mich aufspüren und fangen muss. Ist ihm dies gelungen, steht nun eine gute Pflege und Abrichtung auf dem Programm. Verrichtet er seine Aufgabe jedoch nur halbherzig, dann entwischt ihm das wilde Tier, und der Spaß beginnt von vorn.
Mein Vater nimmt uns Kinder manchmal mit zur Berliner Mauer und zeigt uns die Grenzanlage mit den Wachtürmen und den bewaffneten Soldaten auf der Ostseite. So werden wir schon frühzeitig mit dieser traurigen Realität konfrontiert. Außerdem darf ich meinen Vater oft zu Konzertproben der Berliner Philharmoniker begleiten, wo er dreißig Jahre unter dem Chefdirigenten Herbert von Karajan spielt. Die Philharmonie befindet sich in unmittelbarer Nähe des Lenné-Dreiecks und des Brandenburger Tors. Auch dadurch wird mir die Mauer immer wieder vor Augen geführt, und ich erlebe mehrmals im Monat Kultur in unmittelbarer Nähe eines für mich völlig unverständlichen Betonwalls.
Meine Eltern bauen Anfang der 1970er-Jahre ein Haus in Groß Glienicke. Das liegt zwar in den Grenzen von West-Berlin, hat aber nichts vom Großstadtflair. Es gibt dort viel Landwirtschaft mit Feldern und Tieren sowie einen idyllischen Badesee. Und eine wunderschöne Schilfdach-Dorfkirche. Der Pfarrer integriert viel selbstgemachte Musik von uns Kindern in den Gottesdienst. Das hält mich Gott sei Dank bei der Stange, denn ich lese als 16-Jähriger Friedrich Nietzsche. Ich komme mir dabei sehr klug vor! Als der Herr Pfarrer eines Tages trocken zu mir meint: „Klar, man kann sich auch mit der Gegenseite beschäftigen!“, da richte ich, peinlich berührt, meine Gedanken lieber dem Himmel entgegen. Als zu dieser Zeit von der britischen Komikertruppe „Monty Python“ der Film „Das Leben des Brain“ im Fernsehen läuft, bin ich sehr empört. In diesem Film wird der Leidensweg Christi von einer sehr derben Seite her beleuchtet. Heute kann ich darüber schmunzeln und sage mir: „Klar, man kann sich auch mit der Gegenseite beschäftigen!“
Unser Nachbargrundstück, ein verwilderter Garten, ist unbewohnt. Das kommt mir sehr gelegen, da ich meine Leidenschaft für Verstecke ausgebaut habe. Ein abenteuerliches Baumhaus ist mein ganzer Stolz. Meine kleine Gang besteht aus Tüftlern und Forschern, und gemeinsam wächst aus dem Baumhaus ein kleines Dorf in den Baumkronen. Mindestens zwei Kinder aus der Nachbarschaft geraten meiner Gang in die Schusslinie. Wir sind nicht nett zu ihnen. Das tut mir im Nachhinein sehr leid. Die Gang löst sich irgendwann auf, und ab sofort bin ich sehr gern allein mit meinem Schlauchboot unterwegs. Ich paddele damit auf dem Glienicker See herum, immer ein Buch mit dabei. Und schließlich tritt der Hund Lumpi in mein Leben. An einem schönen Vater-Sohn-Wochenende geschieht ein kleines Wunder: Mein Vater hatte wohl gespürt, dass ich mich nach einem treuen Gefährten sehnte. Jedenfalls zögert er nicht lange, als er bei einer Imbissbude am Berliner Kurfürstendamm jene niedliche Promenadenmischung sitzen sieht. Ein Schild hängt um seinen Hals: „Frauchen ist ausgerutscht. Ich suche ein neues Zuhause. Ich bin familientauglich und kinderlieb!“ Vater weiß auch, dass unsere liebe Mutter mit Hunden nur sehr schwer Freundschaft schließt. Die nächste Telefonzelle ist seine. „Uschi, ich bringe den Kleinen mal auf Probe mit nach Hause. Du musst ihn einfach selbst sehen!“ Gesagt,
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