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Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Titel: Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Majowski
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gleichzeitig meine freie Hand auf den zweiköpfigen Adler vom Siebenbürgen-Wappen an der kleinen Kapelle hinter mir weist und mein Atem vor Freude wie eine Dampflock geht. Prompt stoße ich mir den Kopf am niedrigen Türbalken, Vater lacht. Ich sehne mich nach seiner Nähe. Auch jetzt, wo er da ist, weiß ich, dass die Distanz zwischen uns riesig ist. Ich habe einfach zu viele Geheimnisse in meinem Leben. Wird Vater sie jemals erfahren, sie begreifen? Ich weiß in diesem Moment, dass er niemals erfahren wird, was mein Herz zerreißt. Es ist ein Tag vor dem Probenbeginn zu dem Kinder-Theaterstück „Vom Fischer und seiner Frau“. Die nächsten Stunden wird er mir bestimmt aufmerksam zuhören, und ich werde am Abend seiner Musik lauschen dürfen, wenn er mir etwas aus seinem Repertoire vorspielt. Ich bin sein aufmerksamster Zuhörer, das hab ich mir vorgenommen. Wenn er es nur recht bald zwischen seine Beine klemmt, sein Cello, und die Seiten endlich zum Schwingen bringt! Diesmal möchte ich viel Zeit mit ihm verbringen. „Bitte, lieber Gott, schenke uns die gemeinsamen Momente!“
    „Mein Vater hat sich einfach ins Auto gesetzt und düst zu mir rüber!“ – das hatte ich meinen Kollegen freudestrahlend berichtet. Leider erntete ich nur ein mildes Lächeln und das eine oder andere Kopfschütteln. Ich bin der große Junge, als der ich immer wieder gleich bei der ersten Begegnung rüberkomme, auch hier im Fränkischen. Wahrscheinlich war ich ziemlich uncool. „Klasse! Noch vor ein paar Tagen habe ich ihm am Telefon erzählt, dass ich Akkordeon spielen lernen möchte für die erste Inszenierung, und jetzt kommt er rüber und bringt mir ein paar Griffe bei!“ Die Kollegen nickten stumm. Hätte ich bloß meine Klappe gehalten!
    Meine Kollegin Eva nahm sofort meine Hand und flüsterte mir ironisch ins Ohr: „Komm mal wieder runter, Markus. Hier kann dir auch dein Papa nicht helfen. Erst lernst du putzen, dann waschen und nähen, und sobald du auf der Bühne stehst, weißt du, was ein Knochenbrecher-Job ist.“ Ich verstand nur Bahnhof, aber Eva wollte ich zur Verbündeten, sie war sehr witzig und schön zugleich. Und sie war schon ein Jahr länger im Beruf. „Ich und schön?“, lachte Eva bei meinem ersten Kompliment über ihre exotischen Augen. „Ich bin hier die letzten zwölf Monate die Putzfrau vom Dienst gewesen. Schön ist was anderes!“
    Vater betritt meine Wohnung, und seine Augen beginnen zu leuchten. Warum nur?, frage ich mich. Es sieht hier echt nicht so wahnsinnig spannend aus. Dann sein Kommentar: „Meine erste Bude war noch kleiner!“ Wir lachen, er schaut sich das Akkordeon vom Theater an. Lange ist es her, dass er eines in der Hand hatte. Aber wir können beide Klavier spielen, und ich habe schon mal die wichtigsten Melodien vorbereitet und geübt. Schnell zeigt er mir ein paar Tricks und Griffe. Ich werde ungeduldig, und das merkt er. „Komm, wir gehen was essen.“ Essen! In Dinkelsbühl geht man schlemmen, nicht essen. Es ist jedes Mal ein Fest, wenn man wie ich schnell die besten Restaurants ausfindig gemacht hat. Das erste Bäuchlein wächst bei mir von nun an stetig. Mein Lieblingsrestaurant ist der „Goldene Anker“. Elfriede, der das Hotel mit Gaststättenbetrieb gehört, hatte mich schon in der ersten Nacht meiner Ankunft mit Hochzeitssuppe verwöhnt. Seitdem bin ich ihr sehr zugetan! Vater und ich probieren den Fränkischen Sauerbraten mit Spätzle. „Elfriede, wunderbar! Da muss mein Sohn in die Provinz gehen, dass wir uns kennenlernen.“ Charmant, der Herr Vater. Danach wieder ans Akkordeon, und zwischendurch höre ich zum ersten Mal die Bach-Suite, an der Vater seit einiger Zeit probt. Ich falle hintenüber, irgendwie ist das alles viel zu schön, um wahr zu sein. Die Flasche Whiskey, die Vater und ich anschließend leeren, hat es in sich. Aber der Genuss an diesem Abend ist ein anderer als mein süchtiges Verhalten, das Jahre später mein Leben verändern wird.
    Dinkelsbühl! Wie war ich ausgerechnet hier gelandet? Richtig: Ich wollte weit weg von Berlin. Nach vier Jahren Schauspielausbildung brauche ich jetzt dringend einen Neuanfang. Der erste Kontakt mit Kokain und anderen Drogen hatte mich verändert. Meine Persönlichkeit war irgendwie unvollständig. Es gab lose Teile in mir, die wegzufliegen drohten. Und meine Aura war derart beeinträchtigt, dass man nur noch von Fragmenten eines ursprünglich ausgeglichenen Wesens sprechen konnte. Ich war der Junge, der ständig auf

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