Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
Kruschtelkiste.
Haben Sie so was auch? Eine Kiste mit Erinnerungen? Alte Rezepte, Bilder, Spielzeug von früher. Der Geruch von Heimat! Ach, so was liebe ich. Ich habe nicht nur ein tief verwurzeltes Verlangen nach gutem Essen, sondern auch nach Heimat, nach Geborgenheit. Ganz oft muss ich mir, wenn ich unterwegs bin, Geborgenheit erkämpfen. Wenn ich auf Tournee bin, zum Beispiel. Daher das Gulasch. Ein Gulasch ist für mich eine Erinnerungskiste, aus der ich schöpfen kann. Ich bin immer auf der Suche nach der perfekten, individuellen Gulaschkomposition – in jeder Stadt, in die ich auf meinen Tourneen komme. Ich frage nach der Adresse mit der besten Hausmannskost. Und da muss ich dann hin. Ich schlemme, lausche dem jeweiligen Rezept nach, bin dankbar, fühle mich geborgen. Total authentisch, das Ganze.
Okay, folgende Geschichte: Theater-Tournee – und ich mittendrin. Dreißig Städte in vier Wochen. Was passiert? Gulaschfreie Landschaften, tagelang. Nichts zu machen, ich bleibe ohne Gulasch. Die Erinnerungen verblassen. Ich werde zum heimatlosen Zombie. Abends dann noch der Kampf gegen die Klimaanlage im Hotelzimmer, der nur mit unseriösen Mitteln zu gewinnen ist, von wegen Fenster aufreißen und nasse Handtücher aufhängen, die Schlitze der Zimmertür mit Kissen und Tagesdecken verstopfen. Unterkühlt und ohne Gulasch, das bin ich. Ich weiß noch nicht mal mehr, wie Gulasch geschrieben wird. Keine Nacht komme ich zur Ruhe. Ein Bein hängt immer aus dem Bett, will wieder aufstehen. Das ist mein Tourneebein. Es schüttelt mich und spricht mit mir: „Los, Markus, aufstehen! Carpe Diem! Ich will Gulasch!“
Dann eines Nachts um halb drei: Das Tourneebein hat mich endgültig aus dem Hotelbett geschüttelt. Bingo! Ich wache auf, mit dem Gesicht auf der Hotelauslegeware. Lecker. Ich bleibe schreckensstarr liegen. Im Feuchtbiotop meiner durch die Kunstfaserrippen ausgelösten Stirnschweißausbrüche vermehren sich die Milben. Sie milben sich langsam zu den Ohren vor und kriechen mir ins Gehirn. Vier Wochen Hotelauslegeware – ich werde selbst zur Milbe, und das Zimmermädchen saugt mich am nächsten Morgen auf.
Aber ich gebe mich nicht geschlagen. Ich besorge mir einen Zerstäuber, einen Atomisator. Ab sofort hab ich immer meinen Zerstäuber dabei, wenn ich auf Tournee bin. Oh ha, so mache ich das! Erst die Fenster auf, Klimaanlage abhängen, Kissen und Tagesdecken vor die Türschlitze. Dann kommt neben das Bett die Yogamatte, schön ordentlich ausgerollt. Ich zerstäube etwas von meinem Lieblingsduft darauf: „Muttis Gulasch anno 1970“ mit einer kleinen Prise „Böhmischer Wald“! Und wenn ich dann nachts da unten auf der Yogamatte aufschlage, bin ich in einer vertrauten Atmosphäre, einem schönen Duft! Ich kann gemütlich weiterschlafen und lande am nächsten Morgen nicht im Staubsaugerbeutel.
So habe ich mir das ausgedacht. Den Atomisator hab ich dann aber neulich auf der Yogamatte stehen lassen, nicht auf dem Nachttisch. Pünktlich um drei Uhr nachts – Fenster ist auf, Klimaanlage gecheckt, Türschlitze gesichert – schüttelt sich mein Tourneebein. Es schüttelt und schüttelt und schüttelt. Und ich knalle mit dem Gesicht voll auf die Spritzdüse meines Atomisators. Das Chaos bricht aus. Eine Augenbraue platzt. Ich schlage vor Schreck einen Haken, reiße diverse Lampen und Vasen um. Irgendetwas fliegt aus dem Fenster. Tischdecken und Gardinen können mich nicht mehr auffangen. Alles stürzt über mir zusammen, und ich falle blutüberströmt in eine tiefe Ohnmacht. Eiseskälte. Der reinste Rock ’n Roll. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn mal wieder in der Bunten steht: „Rockstar verwüstet sein Hotelzimmer“. So was hab ich noch nicht erlebt! Am nächsten Morgen bin ich total durchgefroren. Die Yogamatte ist zu einem blutigen Relikt zusammengerollt. Beim Auschecken an der Rezeption:
„Die Rechnung, bitte.“
„Wie bitte?“
„Die Rechnung, bitte.“
„Ah! Gerne. Herr Majowski, haben Sie sich wohlgefühlt bei uns? Oh! Herr Majowski, haben Sie da eine Schussverletzung?“ Ich antworte steif: „Nein, gnädiges Fräulein! Ich habe lediglich versucht, es mir etwas gemütlich zu machen und Ihre Milben in die Schranken zu weisen!“ Das Fräulein schluckt. „Meine ... Milben?“ Ich beuge mich über den Tresen. „Ja, Ihre Milben! Obwohl die eigentlich alle längst an Lungenentzündung krepiert sein müssten!“ Augengeklimper nun beim Fräulein. „Oh Gott!“ Ich entspanne mich, und
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