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Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)

Titel: Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Majowski
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versteht!“ Er holt aus: „Die griechische Tragödie ...“ Als ich morgens um halb zwei ins Bett gehe, ist er bei Sartre. Die beiden sitzen, bis die Sonne aufgeht. Es ist eigentlich unsere Verlobungsreise, aber ab sofort ist Barbara mir einiges in Theaterwissenschaft voraus. Ich habe ja wieder mal nicht zugehört. Zum Abschied schenkt er uns ein Paar Turteltäubchen. Damit hat er sich selbst bei uns zu Hause ein Denkmal gesetzt.
    Die Prognose, dass die innerdeutsche Grenze meinen Vater nicht überleben wird, bewahrheitet sich. Als einer der ersten Berliner Philharmoniker spielt er zusammen mit dem Pianisten Bernd Caspar nach dem Mauerfall in Ost-Berlin. Der Duo-Abend im Deutschen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt hat den musikalischen Schwerpunkt bei Johann Sebastian Bach. Die ganze Familie ist an Vaters Seite. Drei Monate später stirbt er, von seiner Krankheit, Lungenkrebs, schwer gezeichnet. Fünfunddreißig glückliche Ehejahre verbanden ihn mit meiner Mutter. Ihnen wurden drei Enkelsöhne geschenkt. Das ist Vaters größtes Vermächtnis: die Liebe zu seiner Familie! Sie wirkt bis heute nach und hat mir Mut gemacht, den Schritt in meine eigene Ehe zu wagen. Sein Tod ermöglicht mir die wichtigste Erfahrung meines Lebens nach einer sehr langen Trauerphase: Vollständiges Loslassen.

3 | Lispelnde Liebhaber und
zärtliche Zwerge —
Ich bin Schauspieler mit Herz
und Leidenschaft
    Eigentlich will ich später mal Arzt werden. Als ich aber im Jahr meines Abiturs den Dr. Hiob Prätorius von Curt Goetz auf der Bühne meines Gymnasiums spiele, da wird mir klar: Ich bin bereits ein Schauspieler. Ungefähr zur gleichen Zeit erlebe ich zum ersten Mal die Theatertruppe von Ariane Mnouchkine, das „Theatre du soleil“. Sie spielen das Stück „Mephisto“ von Klaus Mann, in dem es unter anderem um die Verführbarkeit des Schauspielers durch die Banalität des Bösen geht. Ich bin begeistert von der Gruppe. Als ich meinem Vater offenbare, dass ich das Abitur schmeißen will, um mich bei der Mnouchkine zu bewerben, bleibt er relativ ruhig. Das heißt, ich bekomme nur nicht mit, wie es in seinem Kopf rattert und was er alles anstellt, um mir ein klare Vorstellung von den Konsequenzen meiner Absichten zu vermitteln. Es hilft nichts, ich bin fest entschlossen. Lediglich sein genialer Schachzug, mich Boleslav Barlog, dem ehemaligen Intendanten des Berliner Schiller-Theaters vorzustellen, bewirkt ein Umdenken bei mir. Barlog begutachtet mich und klopft meine Ernsthaftigkeit ab. Typisch für ein ADHS-Kind, richte ich meine volle Aufmerksamkeit auf diesen einen Moment. Ich öffne mein Herz und philosophiere mit Barlog über den Zauber und die gesellschaftliche Kraft des Theaters. Er verspricht mir im Anschluss, die Tür zu der großartigen Theater- und Filmpädagogin Else Bongers zu öffnen. Seine verschmitzte Bitte: „Bereite deinem Vater und dir selbst die kleine Freude und mach dein Abitur!“ Und den allerletzten Ausschlag gab die berühmte Schauspielerin Hilde Weissner, der mich meine Mutter vorstellte: „Ein harter und zugleich wundervoller Beruf, das wirst du ein Leben lang zu spüren bekommen. Und unterschätze ja nicht das Lampenfieber, mein Lieber!“ Ich schließe die Schule erfolgreich ab. Und – ich lebe das Theater meines Herzens; das „Theatre du soleil“ werde ich niemals mehr aus den Augen verlieren. Ich orientiere mich noch heute zuallererst an den Prinzipien von Kollegialität, Mitbestimmung und künstlerischem Wirken innerhalb eines kreativen Netzwerkes. Nach meinem Abitur 1982 beginne ich in Berlin die Schauspiel- und Gesangsausbildung. Jetzt wird die Besonderheit meiner Heimatstadt deutlich: Berlin ist eine privilegierte Insel für künstlerische Ausbildungen, und das kulturelle Angebot ist schier unerschöpflich. Bei der Abschlussprüfung fallen meine Professoren vom Stuhl vor Lachen, während ich den Mortimer in der Kerkerszene von Maria Stuart gebe. Vor lauter Aufregung ist mein alter S-Fehler wieder aufgetaucht. Ich lispele also und weine zugleich über den bevorstehenden Tod meiner Königin. Das Hochschulgremium rät mir, Komiker zu werden. Gute Idee! Doch zugleich fehlt mir lange Zeit etwas Entscheidendes bei den meisten beruflichen Herausforderungen: wahre Tiefe, Sinn, die Botschaft.
    Aus den bereits beschrieben Gründen muss ich Berlin am Ende meiner Ausbildung verlassen. Ich muss mich mit doppelter Kraft aus dem goldenen Käfig befreien. Das Verharren in den Strukturen und damit die

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