Marlene Suson 2
nahmen. Und selbst wenn ihnen das nicht gelang, war es nur eine Frage der Zeit, bis einer von Flynts zweibeinigen Bluthunden hier auftauchte.
Stephen blieb nur eine Möglichkeit, ihnen zu entkommen: Er mußte seine Flucht fortsetzen.
Er würde lieber sterben, bevor er sich wieder fangen ließ. Er hatte gesehen, wie Flynt entflohene Sklaven bestrafte. Mit Ste- phen würde er noch schlimmer verfahren, denn auf ihn hatte er einen ganz besonderen Haß.
Von Meg wußte er, daß er schon vier Tage hier war. Das war viel zu lange. Doch er war so schwach, daß es sicher noch meh- rere Tage dauern würde, bis er sich wieder auf den Weg machen konnte.
Was, wenn Flynts Männer ihn vorher hier aufstöberten? Ste- phen konnte nur beten, daß ihnen das nicht gelang. Doch wenn er daran dachte, wie wenig ihn das Glück in letzter Zeit begünstigt hatte, war die Aussicht, daß seine Gebete erhört wurden, nicht sehr groß.
Plötzlich flog die Tür des Blockhauses auf. Stephen fuhr her- um und starrte entsetzt auf die Mündung eines Gewehrlaufs. Todesangst griff nach seinem Herzen.
Sie hatten ihn gefunden!
4. KAPITEL
Die Tür, die halboffen in den Lederangeln hing, verbarg den Be- sitzer des Gewehrs vor Stephens Blick. Wie gehetzt suchte er den Raum nach einem Versteck ab, fand jedoch nichts. Hier gab es ja nicht einmal einen Schrank.
Er saß in der Falle! Hilflos ballte er die Fäuste.
Der Besucher stieß die Tür ganz auf und trat ein. Zu Stephens Überraschung war es kein Mann, sondern ein magerer Junge von kaum fünfzehn Jahren mit sandfarbenem, sonnengebleichtem Haar.
Er trug ein komisch wirkendes, übergroßes Hemd aus grobem Flachs, das ihm fast bis zu den Knien reichte und um die Mitte gegürtet war. Darunter lugte noch gerade eine Handbreit sei- ner Hose hervor. Seine Füße steckten in Ledermokassins, deren Riemen bis über die Wade hinauf geschnürt waren.
Die Waffe, die er in der rechten Hand trug, war ein altes Stein- schloßgewehr. Von seiner anderen Hand baumelte der Kadaver eines wilden Truthahns, den er Meg reichte.
Sie nahm ihn, lächelte dem Jungen liebevoll zu und legte den Vogel auf den Tisch. „Danke, Josh, das wird unser Abendes- sen.“
„Das ist Josh?“ platzte Stephen heraus. Als Megan ihm sagte, daß sie mit ihrem Bruder hier lebte, hatte er sich einen großen, kräftigen Mann vorgestellt, der mindestens so alt war wie er selbst, nämlich sechsundzwanzig Jahre.
Was in aller Welt tat sie hier in diesem gottverlassenen Grenz- land mit keinem anderen Schutz als dem eines Jungen, der sich noch nicht einmal zu rasieren brauchte! Fürchtete sie sich denn gar nicht vor den Bären, Wölfen und Wildkatzen, die die Gegend hier unsicher machten? Und erst die Indianer! Seit Stephen in den Kolonien war, hatte er die haarsträubendsten Geschichten über diese blutrünstigen Wilden gehört.
Megan Drake war entweder eine Närrin oder die couragierteste Frau, der er je begegnet war.
Oder beides.
Der Junge drehte sich um und fixierte Stephen. Seine grauen Augen ähnelten denen seiner Schwester, doch aus ihnen sprach nichts als Feindseligkeit. „Da hat unser ungebetener Gast es also doch noch geschafft.“ Josh hob sein Gewehr und richtete es dro- hend auf Stephen. „Ich warne Sie. Wenn Sie versuchen, uns zu beklauen, schieße ich Sie über den Haufen.“
„Sie beklauen!“ wiederholte Stephen und sah sich mit be- deutsamen Blicken in dem ärmlichen Raum um. Selbst wenn er Megan Drake nicht so verpflichtet wäre, konnte er keinen ein- zigen Gegenstand entdecken, den zu stehlen sich lohnen würde. Ärger wallte in ihm auf, weil seine Ehrlichkeit schon wieder in Frage gestellt wurde. Noch dazu von so einer halbgaren Rotz- nase! Er wies mit der Hand auf das roh gezimmerte Wandregal. „Ach ja, zweifellos bewahrt ihr dort euer Tafelsilber auf.“ Dann musterte er spöttisch den festgestampften Lehmboden. „Mög- licherweise will ich ja auch eure kostbaren Teppiche mitgehen lassen.“
Meg zuckte zusammen, und heiße Röte schoß ihr in die Wangen.
O verflucht, durchfuhr es Stephen. Er hatte sie beschämt, und das war nun wirklich nicht seine Absicht gewesen, nachdem sie soviel für ihn getan hatte.
Josh wandte sich seiner Schwester zu. „Schau ihn dir doch nur an, Meg. Da sieht man doch auf den ersten Blick, was für ein mieser Kerl das ist. Du hättest ihn nie reinlassen dürfen.“
Zähneknirschend registrierte Stephen den abfälligen Ton in der Stimme des Jungen. Doch er schluckte seinen Ärger
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