Marlene Suson 2
fürchterlichen Hunde, die ihm dicht auf den Fersen waren.
Stephen wußte nicht, wie lange er gebraucht hatte, um die-
sen rettenden Hafen zu erreichen. Der Weg über die Berge war eine unendliche Qual gewesen und ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.
Er hatte schon geglaubt, die Hunde abgehängt zu haben, doch dann hatte er ihr grauenerregendes Heulen wieder gehört. Das war das letzte, woran er sich erinnerte, bevor er in einem pechschwarzen Meer von Fieberträumen versank.
Allem Anschein nach verdankte er sein Leben dieser kleinen, schlichten Frau. „Haben Sie sich um mich gekümmert, während ich bewußtlos war?“ fragte er.
Sie nickte. Ihre ausdrucksvollen grauen Augen – das Schönste an ihr – spiegelten die Sorge wider, die seine Krankheit ihr berei- tet hatte. Sie war der erste Mensch, der ihm Mitgefühl und Güte entgegenbrachte, seit man ihn aus einem Leben voll Reichtum und Luxus herausgerissen hatte.
Sein Mund war so trocken wie eine Sandwüste. „Durst“, flüsterte er heiser.
Sie griff nach einem Becher, der auf dem kleinen Tisch neben dem Bett stand. Stephen versuchte sich aufzurichten und mußte feststellen, daß er dafür zu schwach war. Er fühlte sich so hilflos wie ein Neugeborenes.
„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Sie beugte sich vor und stützte seinen Oberkörper.
Mit tiefen Zügen atmete er ihren süßen, aufregenden Duft ein, der ihn an Orangenblüten erinnerte. Ihre Brust, überraschend voll unter dem formlosen Kleid, streifte seine Wange.
Nein, tot bin ich wahrhaftig noch nicht, durchfuhr es ihn, als er spürte, wie er auf diese Berührung reagierte. Unwillkürlich fragte er sich, wie wohl der Rest des Körpers sein mochte, der unter diesem häßlichen Kleid steckte.
Es überraschte Stephen, wie heftig die Empfindungen wa- ren, die diese Frau in ihm auslöste, denn in seinem früheren Leben hätte er ihr keinen zweiten Blick gegönnt. Sie war eine graue Maus, ohne das gewisse Etwas, das all die Schönheiten auszeichnete, die sich früher um seine Gunst gerissen hatten.
Während Meg ihn mit einer Hand stützte, hielt sie ihm mit der anderen den Becher an die Lippen. „Trinken Sie so viel davon, wie Sie nur können.“
„Was ist das?“ fragte er heiser.
„Malzbier.“
„Meine Schwester macht es literweise für die Kranken.“ Die Erinnerung an seine warmherzige, schöne Schwester trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Würde er sie je wiedersehen? Würde er je aus dieser Hölle entkommen, die man die Amerikanischen Kolonien nannte?
„Wo ist Ihre Schwester?“
„In England.“
„Ich dachte mir schon, daß Sie von dort kommen. Man hört es an Ihrem Akzent.“
Stephen sah sich um. Das Bett, in dem er lag, war ei- nes von dreien, die hintereinander an der Wand eines äußerst primitiv ausgestatteten Zimmers standen. Offenbar befand er sich in einem Blockhaus, in dem es nur einen einzigen Raum gab. Die gegenüberliegende Wand wurde von einem gemauerten Kamin beherrscht, in dessen Nähe ein langer, grobgehaue- ner Tisch stand. Daneben zogen sich rohe Regalbretter an der Wand entlang. In einer Ecke des Raums standen ein Webstuhl und ein Spinnrad. Der einzige „Schmuck“ der roh gezimmer- ten Bretterwände bestand aus Kleidungsstücken, die an Nägeln hingen.
Noch vor zwei Jahren wäre Stephen entsetzt gewesen, sich in einer so armseligen Behausung wiederzufinden. Heute dage- gen war er dankbar dafür. Und ebenso dankbar war er seiner Wohltäterin.
Doch irgendwie gab sie ihm auch Rätsel auf. Ihre Stimme und Sprache zeugten von einer kultivierten Erziehung, aber wie paßte das in diese ärmliche Umgebung? Kam sie – wie er auch – aus viel besseren Verhältnissen?
Nachdem er den Becher ausgetrunken hatte, bettete Meg ihn auf das Kissen zurück. Der süße Duft nach Orangenblüten schwand dahin, wie auch die aufregende Nähe ihrer Brüste. Stephen suchte nach einem Vorwand, um sie dazu zu bringen, ihn noch länger im Arm zu halten, doch es fiel ihm keiner ein. Er fragte sie nach ihrem Namen.
„Meg Drake.“
Er war ganz hingerissen von ihrer warmen, kehligen Stimme. „Ist Meg eine Abkürzung für Margaret?“
„Nein, für Megan.“
Der Name Megan gefiel Stephen viel besser, doch er fand, daß er eigentlich gar nicht zu diesem schlichten Geschöpf paßte.
„Leben Sie hier mit Ihrem Mann oder Ihren Eltern zusam- men?“
„Weder – noch. Ich bin nicht verheiratet, und meine Eltern sind gestorben. Ich lebe hier mit meinem Bruder Josh.“
Ein lediges
Weitere Kostenlose Bücher