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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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gewohnten Heimlichkeit. Es war absurd gewesen, etwas anderes zu denken. Wenn er zurückkehrte, würde er sie finden. Ja, das war ein Ziel, eine Aufgabe, die er sich stellte. Er würde sie finden und veranlassen, daß sie wieder an die Öffentlichkeit trat. Sich vergewissern, daß sie noch lebte. Das war der einzige Weg sicher zu sein und die schreckliche Last von seinem Herzen zu nehmen. Ja, er würde sie finden.
    Als sie dann über das unruhige Wasser fuhren, lichtete sich der Nebel. Tiefe graue Wolken zogen rasch über ihre Köpfe und ließen Regenwirbel in die Wellen fallen. Es trat jetzt Ebbe ein; und als sie die große Mündung überquerten, wurde die Strömung der Themse voll losgelassen. Die graubraune Oberfläche des Wassers war aufgewühlt wie Brei, die Wellen kamen aus allen Richtungen zugleich, eine wilde schäumende Fläche aus dunklem, strudelndem Wasser, das rasch nach Osten getrieben wurde, hinaus in die Nordsee. Und dann schlug der Wind um und strömte über die Gezeiten; und alle Wellen brausten plötzlich auf See hinaus. Zwischen den langen Schaumfladen schwammen alle möglichen Gegenstände: Kisten, Möbel, Dächer, ganze Häuser, umgekippte Boote, Holzstücke. Späteres Treib- und Strandgut. Blys Mannschaft stand auf Deck. Die Männer lehnten sich mit Enterhaken und Feldstechern über die Reling und riefen nach hinten, damit er Dingen ausweichen oder versuchen sollte, sich ihnen zu nähern. Sie waren in die Arbeit vertieft. Nirgal fragte Bly: »Was ist das für Zeug?«
    »Das ist London«, erklärte Bly. »Es ist das verdammte London, das ins Meer gespült wird.«
    Die Unterseiten der Wolken rasten über ihre Köpfe gen Osten. Als er sich umschaute, sah Nirgal viele andere kleine Boote auf dem wilden Wasser der großen Flußmündung, die Treibgut bargen oder auch bloß fischten. Bly winkte einigen im Vorbeifahren zu und begrüßte andere mit der Sirene. Die Signaltöne wurden vom Wind über die grau gefleckte Mündung getragen, offenbar um Botschaften zu übermitteln, wie Blys Leute jedesmal bemerkten.
    »He, was ist das jetzt?« rief Kev und zeigte stromaufwärts.
    Aus einer die Themsemündung bedeckenden Nebelbank war ein Dreimaster in voller Takelage aufgetaucht, dessen viele Segel in der altertümlichen Art angeordnet waren, die Nirgal innig vertraut war, obwohl er sie noch nie gesehen hatte. Ein Chor von Hörnern begrüßte diese Erscheinung, wildes Getute, langgezogenes Schmettern - alles auf einmal und immer länger, wie eine Hundemeute, die bei Nacht aufgescheucht worden war und kläffte, was das Zeug hielt. Über ihnen explodierte der scharfe durchdringende Ton von Blys Sirene und stimmte in den Chor ein. Nirgal hatte noch nie einen so durchdringenden Ton vernommen. Er zerriß ihm die Ohren! Dickere Luft, dichterer Schall. Bly grinste. Seine Faust drückte auf den Knopf der Sirene. Die Männer der Crew standen dabei alle an der Reling, Nirgals Eskorte auch, und schrien lautlos gegen die plötzliche Vision an.
    Endlich ließ Bly nach. »Was ist das?« brüllte Nirgal.
    »Das ist die Cutty Sark!« sagte Bly, warf den Kopf zurück und lachte. »Die war in Greenwich angepflockt. In einem Park! Einige verrückte Kerle müssen sie frei gemacht haben. War eine brillante Idee. Sie müssen das Schiff um die Flutsperre geschleppt haben. Sehen Sie sich ihre Segel an!«
    Der alte Klipper hatte vier oder fünf Segel, die an jedem der drei Masten aufgespannt waren, und auch noch ein paar dreieckige zwischen den Masten und bis zum Bugspriet. Das Schiff segelte mitten im Ebbestrom und hatte starken Rückenwind, so daß es durch Schaum und Treibgut schnitt und Wasser von seinem scharfen Bug wegspritzte in einer raschen Folge weißer Wellen. In den Wanten standen Männer, wie Nirgal sah. Die meisten von ihnen lehnten sich über die Rahen und winkten mit einem Arm der verwilderten Flottille von Motorbooten zu, als sie hindurchfuhren. Von den Mastspitzen flatterten Wimpel; Nirgal sah eine große blaue Flagge mit roten Kreuzen, als sie Seite an Seite mit Blys Boot waren. Bly drückte immer wieder auf den Knopf der Sirene, und die Männer grölten. Ein Matrose am Ende des Hauptsegels der Cutty Sark lehnte sich mit der Brust gegen den großen Zylinder aus poliertem Holz und winkte ihnen mit beiden Händen zu. Dann verlor er das Gleichgewicht. Sie alle sahen es wie in Zeitlupe geschehen. Der Matrose fiel, den Mund zu einem runden kleinen O geformt, rückwärts in das Weißwasser, das von der Schiffsflanke

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