Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
überraschte. Sie startete und fuhr aus dem Flughafen hinaus. Und dann fuhren sie geräuschvoll auf einer schwarzen Straße durch die flache Landschaft, die von Gras und Bäumen begrünt war. Nein, in der Entfernung gab es einige Berge - so klein! Und der Horizont war so weit entfernt!
Sylvie fuhr zur nächsten Küste. Von einer Kehre auf einem Hügel konnten sie weit über das Mittelmeer blicken, das an diesem Tag braun und grau gefleckt war und in der Sonne schimmerte.
Nach einigen Minuten stiller Betrachtung fuhr Sylvie weiter, wieder quer durch flaches Binnenland. Dann wurden sie an einem Deich angehalten und blickten über die Camargue, wie sie sagte. Michel hätte sie nicht wiedererkannt. Das Rhonedelta war ein breiter dreieckiger Fächer von vielen tausend Hektar gewesen, gefüllt mit salzigen Marschen und Gras. Jetzt war es wieder ein Teil des Mittelmeeres. Das Wasser war braun und mit Gebäuden getupft; aber es war trotzdem Wasser, in dessen Mitte der Rhonestrom eine bläuliche Linie bildete. Arles war, wie Sylvie sagte, wieder ein funktionierender Seehafen. Dennoch pflegten sie immer noch den Kanal. Sylvie sagte stolz, daß alles im Delta von Martiques im Osten bis Aigue-Mortes im Westen von Wasser bedeckt war. Aigues- Mortes war jetzt wirklich tot, seine industriellen Gebäude abgesoffen. Seine Hafeneinrichtungen waren laut Sylvie flott gemacht und nach Arles oder Marseille gebracht worden. Man arbeitete angestrengt, um sichere Navigationsrouten für die Schiffe zu markieren. Sowohl die Camargue wie weiter östlich die Plaine de la Crau waren mit allen möglichen Strukturen übersät, von denen viele noch aus dem Wasser ragten, aber nicht alle. Und das Wasser war durch Schlamm so getrübt, daß man nicht tiefblicken konnte. »Sehen Sie, hier ist der Bahnhof. Man kann die Getreidespeicher noch erkennen, aber nicht die Nebengebäude. Und da ist einer von den eingedeichten Kanälen. Die Deiche sind jetzt unsere Riffe. Sehen Sie die Linie aus grauem Wasser? Die Deiche brechen immer noch, wenn die Rhone sie überspült.«
»Ein Glück, daß die Gezeiten hier nicht so stark sind«, sagte Michel.
»Allerdings. Sonst wäre es für Schiffe zu gefährlich, Arles zu erreichen.«
Im Mittelmeer waren die Gezeiten vernachlässigbar; und Fischer wie Küstenfrachter entdeckten tagtäglich, was sicher unternommen werden konnte. Man versuchte, den Hauptkanal der Rhone durch die neue Lagune zu sichern, genau wie die Seitenkanäle, so daß die Boote bei der Rückfahrt stromaufwärts nicht gegen die Strömung der Rhone ankämpfen mußten. Sylvie wies auf Merkmale hin, deren Existenz Michel nicht nachvollziehen konnte, und erzählte ihm von plötzlichen Verlagerungen des Rhonekanals, von auf Grund gelaufenen Schiffen, losen Bojen, angekratzten Rümpfen, Rettungen bei Nacht, Ölverlusten, dem Verwechseln neuer Leuchttürme, falschen Leuchttürmen, die von Schmugglern für die Unvorsichtigen aufgestellt wurden und sogar regelrechter Piraterie auf hoher See. Das Leben an der neuen Rhonemündung schien aufregend zu sein.
Nach einer Weile fuhren sie in dem kleinen Wagen zurück, und Sylvie hielt nach Südosten, bis sie auf die Küste trafen, die richtige Küste, zwischen Marseille und Cassis. Dieser Teil der Mittelmeerküste bestand wie weiter östlich die Cöte d'Azur aus einer großen Reihe steiler Hügel, die jäh zur See hin abfielen. Die Hügel standen noch gut über dem Wasser; und auf den ersten Blick schien es Michel, daß sich dieser Küstenabschnitt viel weniger verändert hatte als die überflutete Camargue. Aber nach ein paar Minuten stiller Beobachtung änderte er seine Meinung. Die Camargue war immer ein Delta gewesen und war jetzt immer noch ein Delta. Da hatte sich nichts Wesentliches geändert. Hier aber hieß es: »Die Strände sind fort.«
»Ja.«
Das war nur zu erwarten gewesen. Aber die Strände hatten das Wesen dieser Küste ausgemacht, die Strände mit ihren langen lohfarbenen Sommern, die von nackten, die Sonne anbetenden menschlichen Lebewesen dicht besetzt gewesen waren, von Schwimmern und Segelbooten, und Karnevalfarben und langen, warmen, aufregenden Nächten. All das war verschwunden. »Sie werden nie wiederkommen.«
Sylvie nickte und sagte sachlich: »Es ist überall dasselbe.«
Michel blickte nach Osten. Die ganze Strecke bis zum fernen Horizont fielen die Hügel steil in das braune Meer ab. Es sah aus, als könnte er bis Cap Sicie schauen. Dahinter lagen all die einstigen großen
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