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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Meer, Klippen ohne Strände, die blassen Felshügel, wüstenartig, verlassen. Eine Ödnis. Nein, nichts war dasselbe, gar nichts.
    Schließlich bemerkte Sylvie sein Schweigen. Sie fuhr ihn nach Westen zu einem kleinen Hotel mitten in Arles. Michel hatte nie in Arles gelebt oder viel zu tun gehabt; aber dicht bei seinem Hotel waren Praxisbüros, und er hatte keine feste Vorstellung, wo er bleiben sollte. Sie stiegen aus. Die Schwere machte sich sehr bemerkbar. Sylvie wartete unten, während er sein Gepäck hinauftrug. Und da war er nun, unsicher in einem kleinen Hotelzimmer stehend, die Reisetasche aufs Bett geworfen, den Körper angespannt von dem Verlangen, sein Land zu finden und wieder heimzukehren. Dies war es nicht.
    Er ging hinunter und dann in die nächste Tür, wo Sylvie etwas anderes zu tun hatte.
    Er sagte ihr: »Ich möchte mir einen ganz bestimmten Ort ansehen.«
    »Was immer Sie wollen.«
    »Es ist nahe Vallabrix. Nördlich von Uzes.«
    Sie sagte, sie wüßte, wo das lag.
    Es war später Nachmittag, als sie die Stelle erreichten. Eine Lichtung neben einer engen alten Straße dicht bei einem Olivenhain auf einem Abhang, über den der Mistral brauste. Michel bat Sylvie, beim Wagen zu bleiben, ging hinaus in den Wind und den zwischen den Bäumen liegenden Abhang hinauf; allein mit der Vergangenheit.
    Sein alter Mas lag am nördlichen Ende des Haines am Rande eines Plateaus oberhalb einer Schlucht. Die Olivenbäume waren knorrig vor Alter. Der Hof selbst war eine Holzhütte, fast vergraben unter langen, verflochtenen, dornigen Brombeerranken, die an den Außenwänden wuchsen.
    Beim Blick in die Ruine stellte Michel fest, daß er sich eben noch an das Innere erinnern konnte. Oder zumindest an Teile davon. In der Nähe der Tür waren eine Küche und ein Eßtisch gewesen und dann, nachdem man unter einem massiven Holzbalken durchgegangen war, ein Wohnzimmer mit Couches und einem niedrigen Kaffeetisch und hinten eine Tür zum Schlafzimmer. Er hatte hier zwei oder drei Jahre lang mit einer Frau namens Eve gewohnt. Er hatte seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr an diesen Ort gedacht. Er war der Meinung gewesen, daß ihm alles aus dem Kopf entschwunden war. Aber mit den Ruinen vor sich sprangen ihm Fragmente jener Zeit ins Auge. Eine blaue Lampe hatte in der Ecke gestanden, die jetzt mit brüchigem Putz gefüllt war. Ein Druck von van Gogh war an jene Wand genagelt gewesen, wo jetzt nur noch Holzscheite, Dachziegel und verwehtes Laub zu sehen waren. Der massive Dachbalken war verschwunden, ebenso seine Stützen in den Wänden. Jemand mußte sie herausgeschafft haben. Schwer zu glauben, daß sich einer diese Mühe gemacht haben sollte. Das hatte Hunderte von Kilos gewogen. Die Leute machten schon seltsame Dinge. Und ringsum Entwaldung. Es gab nur noch wenige Bäume, die einen so großen Balken abgeben könnten. Jahrhundertelang hatten Menschen auf diesem Land gewohnt.
    Am Ende dürfte die Entwaldung kein Problem mehr darstellen. Während der Fahrt hatte Sylvie von dem schweren Winter der Flut gesprochen mit Regen und Wind. Dieser Mistral hatte einen Monat gedauert. Manche sagten, er würde nie enden. Bei dem Blick in das verfallene Haus tat es Michel nicht leid. Er brauchte den Wind, um sich zu orientieren. Es war eigenartig, wie das Gedächtnis funktionierte oder nicht. Er stieg auf die zerbrochene Wand des Mas hinauf und versuchte, sich an mehr von diesem Ort zu erinnern, an sein Leben hier mit Eve. Eine gewollte Erinnerung, eine Jagd nach der Vergangenheit... Statt dessen fielen ihm lebhaft Szenen von dem gemeinsamen Leben mit Maya in Odessa ein, mit Spencer unten im Saal. Wahrscheinlich hatten die zwei Leben genug Aspekte gemeinsam gehabt, um die Konfusion zu bewirken. Eve war heißblütig gewesen wie Maya; und der Rest war la vie quotidienne, das alltägliche Leben, gewesen, zu allen Zeiten und an allen Orten, besonders für ein spezifisches Individuum, das sich mit seinen Gewohnheiten einrichtete wie mit Möbeln, die man von einem Ort zum anderen mitnimmt. Vielleicht.
    Die Innenwände dieses Hauses waren sauber in Beige verputzt gewesen und mit Drucken bepinnt. Jetzt waren die Stockflecken roh und verfärbt wie die Außenwände einer alten Kirche. Eve hatte in der Küche gewerkelt wie eine routinierte Tänzerin mit ihrem schönen Rücken und den langen, kräftigen Beinen. Wenn sie über die Schulter blickte, um ihn anzulachen, wogte ihr kastanienbraunes Haar bei jeder Drehung. O ja, er erinnerte sich an

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