Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
er erschauerte doch vor dem, was Hiroko getan hatte und was Jackie tat.
Um seinen Geist von alledem zu klären, ging er fliegen. Eines Abends nach einem prächtigen Flug in den Wolken, als man im Lokal des Startplatzes saß, nahm die Konversation eine andere Richtung als gewöhnlich, und jemand erwähnte Hirokos Namen. »Ich höre, sie ist in Elysium und arbeitet da oben an einer neuen Kommune.«
»Wo hast du das gehört?« fragte Nirgal die Frau, wohl etwas zu scharf.
Sie sagte überrascht: »Du kennst doch diese Flieger, die letzte Woche hereingeschneit sind. Die um die Welt fliegen. Die waren im letzten Monat auf Elysium und sagten, sie hätten sie dort gesehen.« Sie zuckte die Achseln. »Das ist alles, was ich gehört habe. Nicht sehr zuverlässig. Ich weiß.«
Nirgal lehnte sich im Sessel zurück. Immer Information aus dritter Hand. Aber einige Geschichten schienen dennoch Hiroko widerzuspiegeln. Und ein paar, die zu sehr nach Hiroko aussahen, waren wohl erfunden. Nirgal wußte nicht, was er denken sollte. Sehr wenige Leute schienen sie für tot zu halten. Auch aus dem Rest der Gruppe wurden Sichtungen berichtet.
»Sie wünschen einfach, daß sie hier wäre«, sagte Jackie, als Nirgal das am nächsten Tage erwähnte.
»Wünschst du es denn nicht?«
»Doch, natürlich...« - obwohl das nicht stimmte -, »aber nicht genug, um Geschichten darüber zu erfinden.«
»Hältst du die wirklich alle für erfunden? Ich meine, wer sollte das tun? Was würden sie in diesem Falle unter sich erzählen?«
»Nirgal, die Menschen sind nicht vernünftig. Das mußt du lernen. Die Leute sehen irgendwo eine ältliche Japanerin und denken, die sieht aus wie Hiroko. Am Abend erzählen sie ihren Zimmergenossen, sie hätten heute Hiroko gesehen. Sie war auf dem Markt und hat Pflaumen gekauft. Der Partner geht zu seinem Arbeitsplatz und sagt: >Mein Zimmergenosse hat gestern Hiroko gesehen, wie sie Pflaumen gekauft hat.<«
Nirgal nickte. Das war ohne Zweifel richtig, wenigstens für die meisten Geschichten. Aber was war mit dem Rest, den wenigen Geschichten, die nicht in dieses Muster paßten... ?
»Inzwischen mußt du eine Entscheidung über diese Position im Umweltgerichtshof treffen«, sagte Jackie. Es handelte sich um ein Provinzgericht, das dem Globalen unterstand. »Wir können es so einrichten, daß Mem einen Posten in der Partei erhält, der wirklichen Einfluß hat; oder du könntest diesen nehmen, wenn du willst, oder beide, nehme ich an. Aber wir müssen es wissen.«
»Ja,ja.«
Es kamen Leute herein, um über etwas anderes zu diskutieren, und Nirgal zog sich zum Fenster zurück, in die Nähe des Kindermädchens und des Babys. Er war nicht an dem interessiert, was sie machten, an nichts davon. Das war bloß alles häßlich und abstrakt, eine ständige Manipulation von Menschen, ohne ihnen, die doch so viel Arbeit für sie verrichteten, je irgendeine Erkenntlichkeit zu erweisen. Jackie würde sagen, das ist Politik. Und es war klar, daß sie es genoß. Aber Nirgal nicht. Es war seltsam. Er hatte sein ganzes Leben offenkundig für diese Situation gearbeitet; und als sie jetzt gekommen war, gefiel sie ihm nicht.
Höchstwahrscheinlich könnte er genug lernen, um die Arbeit zu leisten. Er müßte die Feindseligkeit der Leute überwinden, die ihn nicht wieder in der Partei haben wollten; er müßte sich eine eigene Machtbasis schaffen, das heißt eine Gruppe von Menschen um sich sammeln, die ihm in ihren offiziellen Positionen helfen würden. Er müßte ihnen Gefälligkeiten erweisen, ihre Gunst erschmeicheln, sie gegeneinander ausspielen, so daß ein jeder seinem Wunsch willfahren würde, um gegenüber den anderen Überlegenheit zu gewinnen... Er konnte gerade hier in diesem Raum alle diese Prozesse in Aktion sehen, wenn Jackie mit einem Berater nach dem anderen zusammenkam und diskutierte, was gerade sein Spezialgebiet betraf, und ihn dann bearbeitete, um ihn sich noch stärker zu verpflichten. Natürlich würde sie sagen, wenn er sie darauf hinwies: so ist eben die Politik. Sie hatten jetzt die Kontrolle über den Mars, und wenn sie die neue Welt schaffen wollten, auf die sie gehofft hatten, dann mußten sie Politiker in letzter Konsequenz sein. Man konnte nicht allzu wählerisch sein, man mußte realistisch handeln. Man hielt sich die Nase zu und tat es. Darin lag wirklich ein gewisser Adel. Es war die notwendige Arbeit.
Nirgal wußte nicht, ob diese Rechtfertigungen der Wahrheit entsprachen oder nicht. Hatten sie
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