Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
1
D ie Anführerin der übernatürlichen Mächte des Guten zu sein ist
längst nicht so cool, wie es klingen mag. Zum Beispiel hat die Welt immer oberste Priorität, alles andere kommt an zweiter, dritter und vierhundertneunundfünfzigster Stelle. Und ich spreche von so wichtigen Dingen wie Liebe, Freundschaft und Familie. Letztlich hat das dazu geführt, dass ich den Mann getötet habe, den ich liebte.
Schon wieder.
Oh nein, ich habe ihn nicht zweimal umgebracht. Ich meinte vielmehr: Ich habe zwei Männer getötet. Der eine ist nicht tot geblieben, und der andere … bei dem bin ich mir nicht so sicher.
Ja, ich liebe zwei Männer. Das war mir auch neu. Dazu kommt noch der Anfang vom Ende der Welt – und schon ist das Chaos komplett. Als jemand, der sich damit auskennt, kann ich nur sagen: Chaos kann einem wirklich auf die Nerven gehen!
Seit der Nacht, in der meine Pflegemutter in meinen Armen starb und mir die Verantwortung für die Apokalypse hinterließ, war das Chaos für mich der Normalzustand.
Einige Wochen, nachdem ich Sawyer getötet hatte, tauchte er in meinen Träumen wieder auf. Er war ein Navajo-Fellläufer gewesen – Hexer und Gestaltwandler in einem, also ein Zauberer mit einer unvorstellbaren Macht. Leider hatten diese Kräfte seinen eigenen Tod nicht verhindern können. Ich glaube allerdings kaum, dass überhaupt irgendetwas das vermocht hätte, denn er hatte ja sterben wollen. Ich fühlte mich trotzdem schuldig. Was daran liegen könnte, dass ich ihm mit bloßen Händen das Herz herausgerissen hatte.
Es war ein erotischer Traum, wie meist, wenn Sawyer darin vorkam. Er war eine Art Katalysator-Telepath: Er brachte die übernatürlichen Fähigkeiten anderer durch Sex zum Vorschein. Es hatte etwas damit zu tun, sich zu öffnen, und zwar sich selbst gegenüber, dem Universum und den magischen Möglichkeiten darin – laberlaber, blablabla.
Ich habe nie ganz kapiert, was er da getan hat oder wie er es getan hat. Aber es funktionierte. Nach einer Nacht mit Sawyer hatte ich so viele Kräfte, dass ich kaum noch wusste, wohin damit.
Im Traum befand ich mich in meinem Apartment in Friedenberg, einer Vorstadt im Norden von Milwaukee, im Bett. Sawyer lag in der Löffelchenstellung hinter mir. Seine Hand ruhte auf meiner Hüfte. Da wir etwa gleich groß waren, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken, sein Haar ergoss sich lang, schwarz und seidig über meine Haut. Ich legte meine Hand auf seine und wollte mich umdrehen.
Dabei kamen sich unsere Beine in die Quere. Er machte seine ganz steif und hielt mich an der Hüfte fest. »Nicht«, sagte er mit einer unendlich tiefen und befehlenden Stimme.
»Aber … «
Er knabberte sanft an meiner Halsbeuge, und ich schnappte nach Luft – sowohl vor Überraschung als auch vor Erregung. Ich wusste zwar, dass es ein Traum war, aber mein Körper reagierte, als wäre es keiner.
Alles fühlte sich so lebendig an – seine geschmeidigen, festen Muskeln spielten tatsächlich unter der glatten, heißen Haut. Sawyer war ausnehmend gut gebaut. In den Jahrhunderten, die er schon auf dieser Erde weilte, hatte er mehr als genug Zeit gehabt, jede einzelne Muskelgruppe mehrere Jahrzehnte lang zu trainieren und jeden Zentimeter so perfekt zu formen, dass Frauen bei seinem Anblick geradezu anfingen zu sabbern. Er wäre mir sogar ganz vollkommen erschienen, wären da nicht diese Tattoos gewesen, die seinen gesamten Körper bedeckten.
Fellläufer benutzen für ihre Verwandlung einen Umhang, auf dem ihr Tierwesen abgebildet ist. Sawyer brauchte keinen solchen Umhang, stattdessen waren auf seiner Haut die Abbilder vieler Raubtiere verewigt. Im Feuerschein schienen sie manchmal zu tanzen.
»Warum bist du hier?«, fragte ich.
»Was glaubst du?« Er schob die Hüfte vor und drückte seine Erektion gegen mich. Ich konnte nicht anders, als mich an ihn zu schmiegen. Okay, es war erst ein paar Wochen her, aber ich vermisste ihn trotzdem schon. Ich würde ihn für den Rest meines Lebens vermissen.
Ohne Sawyer steckten die Mächte des Guten – auch die Föderation genannt – ziemlich tief in der Scheiße. Natürlich war ich auch einigermaßen mächtig und sogar gerade dabei, noch mächtiger zu werden. Aber ich war auch recht unvorbereitet in diese Situation geraten. Ich kam mir wie ein magischer Elefant in einem ziemlich vollen Porzellanladen vor: stapfte durch die Gegend und machte Dinge und Menschen kaputt. Bis jetzt hatte ich gerade noch verhindern können,
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