Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
wirklich ihr ganzes Leben lang gearbeitet, um die Herrschaft der Erde über den Mars zu überwinden, nur damit sie ihre eigene lokale Version des gleichen Systems an deren Stelle setzen konnten? Konnte Politik jemals etwas anderes sein als Politik - praktisch, zynisch, häßlich?
Nirgal konnte das nicht beantworten. Er saß am Fenster und sah auf das Gesicht von Jackies schlafender Tochter hinunter. Auf der anderen Seite des Raums schüchterte Jackie die Delegierten des Freien Mars aus Elysium ein. Jetzt, da Elysium eine vom Nordmeer umgebene Insel war, waren sie dort entschlossener denn je, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, einschließlich der Einwanderungsbeschränkungen, die verhindern sollten, daß sich die Bevölkerung weit über ihre jetzige Anzahl hinaus entwickelte. »Das ist ja alles schön und gut«, sagte Jackie, »aber es ist jetzt eine sehr große Insel, eigentlich ein Kontinent, und noch dazu von Wasser umgeben, so daß er besonders feucht sein wird. Außerdem mit einer Küstenlinie von Tausenden von Kilometern, einer Menge guter Hafenplätze, die ohne Zweifel als Fischereihäfen nutzbar sind. Ich kann mit eurem Wunsch sympathisieren, die Entwicklung im Griff zu behalten, das ist uns allen klar; die Chinesen haben jedoch ein besonderes Interesse bekundet, einige dieser Plätze zu entwickeln. Und was erwartet man, das ich ihnen sagen soll? Daß die auf Elysium Ansässigen die Chinesen nicht leiden können? Daß wir ihre Hilfe in einer Krise annehmen, aber nicht wollen, daß sie in die Nachbarschaft ziehen?«
»Doch nicht deshalb, weil sie Chinesen sind!« rief der Delegierte.
»Ich verstehe. Wirklich! Ich sage Ihnen: Gehen Sie nach Südfossa zurück und erklären Sie dort die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, und ich werde alles tun, was in meiner Möglichkeit steht, um Ihnen zu helfen. Ich kann keine Resultate garantieren, werde aber tun, was ich kann.«
»Danke«, sagte der Delegierte und ging.
Jackie wendete sich an ihre Assistentin. »Idiot! Wer kommt als nächster? Ah, natürlich der chinesische Gesandte. Gut, laß ihn rein!«
Der chinesische Gesandte, eine Frau, war recht groß. Sie sprach Mandarin, und ihr Computer übersetzte in klares britisches Englisch. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeiten bat die Frau um die Einrichtung einiger chinesischer Siedlungen, vorzugsweise in den äquatorialen Provinzen.
Nirgal sah fasziniert hin. So hatte man ganz von Anfang an mit dem Siedeln begonnen. Gruppen terranischer Nationaler waren angekommen und hatten eine Kuppelstadt oder eine Klippensiedlung errichtet oder einen Krater überkuppelt... Aber jetzt zeigte Jackie eine höfliche Miene und sagte: »Das ist möglich. Natürlich wird man alles den Umweltgerichtshöfen zur Beurteilung vorlegen müssen. Aber es gibt auf dem Elysium-Massiv große Mengen bewohnbaren Landes. Vielleicht ließe sich hier etwas arrangieren, besonders wenn China gewillt ist, zur Errichtung einer Infrastruktur beizutragen.«
Sie besprachen Details. Nach einiger Zeit ging die Gesandte fort.
Jackie drehte sich um und schaute Nirgal an. »Nirgal, könntest du Rachel hereinrufen? Und versuche dich bald zu entscheiden, was du in Zukunft tun willst, bitte!«
Nirgal ging aus dem Haus durch die Stadt zu seinem Zimmer. Er packte seine kleine Sammlung von Kleidungsstücken und Toilettenartikeln zusammen, nahm die U-Bahn zum Flugplatz und bat Monica, einen der einsitzigen Luftschiffgleiter benutzen zu dürfen. Er war für den Alleinflug gerüstet und hatte genügend Stunden in Simulatoren und mit Lehrern verbracht. Unten in Marineris auf Candor Mesa gab es eine weitere Flugschule. Er sprach mit den Beamten auf dem Flugplatz. Sie gestatteten ihm, den Luftgleiter dorthin zu fliegen und ihn später von einem anderen Piloten zurückbringen zu lassen.
Es war Mittag. Die hangabwärts gehenden Winde von Tharsis hatten eingesetzt und würden im Laufe des Nachmittags noch stärker werden. Nirgal zog sich an und stieg in den Pilotensitz. Der kleine Luftgleiter kletterte, am Bug gehalten, am Startmast empor und wurde freigelassen.
Er stieg über Noctis Labyrinthus auf und wandte sich ostwärts. Er flog über das Gewirr verschachtelter Canyons. Ein Land, das durch große Spannungen von unten her aufgerissen worden war. Ein Flug aus dem Labyrinth. Ein Ikarus, der zu nahe an die Sonne herangeflogen war und verbrannt worden war, hatte den Sturz überlebt und flog jetzt wieder, diesmal abwärts, immer nach unten. Er nutzte
Weitere Kostenlose Bücher