Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
gequälter Miene: »Ja, so ist es nun mal, diese Vorfälle häufen sich. Ich fühle es selbst. Aber für Maya...« Er schüttelte den Kopf und sah höchst entmutigt aus. Selbst Michel konnte nichts Gutes daraus machen. Michel, der bei all ihren früheren Meinungsumschwüngen seine Alchemie des Optimismus entwickelt und zu einem Teil seiner großen Story gemacht hatte, dem Mythos vom Mars, den er irgendwie aus dem täglichen Morast herausgequetscht hatte. Aber dies war der Tod der Story. Zu schwer zum Mythologisieren. Nein - das Leben, nachdem das Gedächtnis gestorben war, war eine bloße Farce, schrecklich und ohne Sinn. Man mußte unbedingt etwas unternehmen.
Sax dachte noch darüber nach. Er saß in einer Ecke, in sein Armband vertieft, und las eine Sammlung von Kurzfassungen neuerer experimenteller Arbeiten über das Gedächtnis, als er aus der Küche einen Fall und einen Schrei von Nadia hörte. Sax eilte hinaus und fand Nadia und Art über Michel gebeugt, der mit kreidebleichem Gesicht auf dem Fußboden lag. Sax rief den Pförtner; und schneller, als er es für möglich gehalten hätte, war ein Erste-Hilfe-Team mit seinen Geräten hereingestürmt und hatte Art beiseite geschoben. Große junge Eingeborene, die Michel brüsk an ihr kompaktes Apparatenetz anschlössen, wobei die Alten lediglich Zuschauer beim Kampf ihres Freundes blieben.
Sax setzte sich zu den Ärzten und legte eine Hand auf Michels Hals und Schulter. Michels Atem hatte aufgehört, ebenso der Puls. Weißes Gesicht. Die Versuche zur Wiederbelebung waren heftig. Elektroschocks wurden mit verschiedenen Stärken ausprobiert. Der anschließende Übergang zur Herz-Lungen-Maschine wurde mit minimalem Umstand vollzogen. Die jungen Ärzte arbeiteten fast stillschweigend, sprachen nur miteinander, wenn es unbedingt nötig war, und schienen die an der Wand sitzenden alten Leute nicht zu bemerken. Sie taten alles, was sie konnten, aber Michel blieb hartnäckig und mysteriöserweise tot.
Natürlich hatte er sich über Mayas Gedächtnisverlust aufgeregt. Aber das schien keine passende Erklärung zu sein. Er war sich Mayas Problem durchaus schon bewußt gewesen und hatte sich Sorgen gemacht. Darum sollte eine einzelne Bekundung ihres Problems keine Rolle gespielt haben. Ein Zufall. Ein schlimmer. Und natürlich kam ganz spät an diesem Abend, nachdem die Ärzte endgültig aufgegeben, Michel nach unten getragen hatten und jetzt ihr Gerät aufräumten, Maya zurück; und sie mußten ihr berichten, was geschehen war.
Sie war natürlich heftig erregt. Ihr Schock und ihre Angst waren für einen der jungen Ärzte zu viel, der sie zu trösten versuchte (das wird dir nicht gelingen, wollte Sax sagen; ich habe es schon selbst probiert). Er bekam prompt wegen seiner Bemühungen eine Ohrfeige, was ihn wütend machte. Er ging hinaus in den Korridor und setzte sich bedrückt hin.
Sax kam hinterher und setzte sich neben ihn. Der junge Mann weinte.
»Ich kann das nicht mehr weiter machen«, sagte er nach einer Weile. Er schüttelte den Kopf, wohl, um sich zu entschuldigen. »Es hat keinen Sinn. Wir kommen, tun alles, was wir können, aber ohne Erfolg. Nichts hält den raschen Verfall auf.«
»Worin besteht er denn?« fragte Sax.
Der junge Mann hob seine kräftigen Schultern und schniefte: »Das ist das Problem. Niemand weiß es.«
»Es muß doch sicher Theorien geben? Autopsien?«
»Herzarhythmien«, sagte einer der Ärzte knapp, der mit einem Gerät vorbeikam.
»Das ist das Symptom«, sagte der sitzende Mann und schniefte wieder. »Aber woher kommt die Arhythmie? Und warum läßt sie sich durch unsere Apparate nicht beheben?«
Niemand antwortete.
Noch ein Geheimnis, das gelöst werden mußte. Sax sah durch die offene Tür, daß Maya auf der Couch saß und weinte. Nadia saß neben ihr wie eine Statue. Plötzlich wurde es Sax klar, daß Michel, auch wenn er eine Erklärung fände, tot war und das nichts mehr ändern konnte.
Art traf mit den Ärzten Absprachen. Sax tastete auf seinem Handy herum und überflog eine Liste der Titel der Aufsätze über den raschen Verfall. Sie umfaßte 8361 Titel. Es gab Literaturzusammenfassungen und von Computern zusammengetragene Tabellen, aber nichts, das nach einer definitiven paradigmatischen Feststellung aussah. Immer noch im Stadium der Beobachtung und Ausgangshypothesen herumtappend ... In vielerlei Hinsicht ähnelte es dem Buch über Gedächtnis, das Sax schon gelesen hatte. Tod und Verstand. Wie lange hatten sie diese
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