Mars
Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen auf einem gro ß en Teil des Planeten zeigen. «
» Woher kommen die Daten? « fragte Jamie, als Vektorpfeile die Karte sprenkelten. Sie zeigten die Windrichtungen an; die Anzahl der F ä hnchen an ihrem hinteren Ende bezeichnete die Windgeschwindigkeit.
» Von dem Netz ferngesteuerter Beobachtungsstationen, das um den Planeten herumgelegt worden ist « , antwortete Toshima. » Und von den Ballons, nat ü rlich. «
Die meteorologischen Ballons waren herrlich simpel, nicht viel mehr als lange, schmale, mit Wasserstoff gef ü llte Schl ä uche aus au ß erordentlich d ü nnem, widerstandsf ä higem Mylar. Sie wurden von den Raumschiffen im Orbit nach Bedarf in ihren winzigen Kapseln in die Marsatmosph ä re abgeworfen und bliesen sich automatisch auf, wenn sie die richtige H ö he erreichten. Dann schwebten sie wie phantastische, riesige wei ß e Zigaretten ü ber der Landschaft.
Unter jedem Ballon hing eine › Schlange ‹ , ein langes, d ü nnes Metallrohr, das Me ß instrumente, ein Funkger ä t, Batterien und auch noch eine Heizung zum Schutz vor der K ä lte enthielt.
Tags ü ber schwebten die Ballons hoch oben in der Marsatmosph ä re und ermittelten die Temperatur (niedrig), den Druck (niedriger), den Feuchtigkeitsgehalt (noch niedriger) und die chemische Zusammensetzung der Luft. Die H ö he, in der jeder Ballon schwebte, wurde von der Wasserstoffmenge in seinem langen, schmalen, zigarettenf ö rmigen Rumpf bestimmt. Die Tageswinde trugen sie wie L ö wenzahnsporen ü ber die rote Landschaft.
Bei Nacht, wenn die Temperaturen so eisig wurden, da ß sogar der Wasserstoff in den Ballons zu kondensieren begann, sanken sie alle wie eine Truppe anmutig knicksender Ballerinen nach unten. Die › Schlangen ‹ mit den Instrumenten ber ü hrten den Boden und ü bermittelten die ganze Nacht hindurch treu und brav Daten ü ber die Oberfl ä chenbedingungen, w ä hrend die Ballons, die kaum genug Auftrieb hatten, um in sicherer H ö he ü ber dem stein ü bers ä ten Boden zu schweben, in den dunklen Winden tanzten.
Nicht jeder Ballon ü berlebte. W ä hrend die meisten tagelang ununterbrochen ü ber das Antlitz des Mars schwebten, jede Nacht m ü de hinabsanken und wieder aufstiegen, sobald der morgendliche Sonnenschein sie erw ä rmte, wurden manche von Felsen zerrissen oder verfingen sich an Bergh ä ngen. Einer verschwand in dem riesigen, tiefliegenden Krater von Hellas Planitia und war selbst mit den besten Kameras an Bord der um den Mars kreisenden Ü berwachungssatelliten nicht wiederzufinden. Aber die meisten Ballons flogen lautlos und ohne jeden Kraftaufwand dahin, pa ß ten sich dem marsianischen Tag-und-Nacht-Zyklus an und berichteten getreulich ü ber die Umwelt zwischen den beiden Polen.
» Wie Sie sehen « , sagte Toshima mit einem Nicken zum Bildschirm, » ist die Wetterlage hier in der n ö rdlichen Hemisph ä re ziemlich stabil. Und ziemlich langweilig. «
» Das Sommermuster « , murmelte Jamie.
Toshima freute sich, da ß der Geologe sich zumindest ein kleines bi ß chen mit dem Marsklima auskannte. Doch in der s ü dlichen Hemisph ä re, wo Winter herrschte, war das Wetter ebenso ruhig; auch dort gab es kaum St ö rungen. Keine gro ß en Staubst ü rme, nicht einmal ein anst ä ndiger zyklonartiger Luftstrom, den man studieren und von dem man etwas lernen konnte.
» K ö nnen wir n ä her an Tithonium herangehen? « fragte Jamie, den Blick auf den meteorologischen Bildschirm gerichtet.
» Ja, nat ü rlich « , sagte Toshima.
Die gewundene Spalte des ungeheuren Grabenbruches schien auf Jamie zuzurasen, bis Tithonium Chasma und sein s ü dlicher Gef ä hrte, Ius Chasma, den Bildschirm ausf ü llten. Einen Moment lang ignorierte Jamie die meteorologischen Symbole, die das Bild ü berlagerten; er sah nur die kilometerhohen Felsen und die gewaltigen Rutschungen, die Bereiche des riesigen Canyons teilweise ausf ü llten.
» Dort ist eine Anomalie « , sagte Toshima.
Der Meteorologe hatte seinen Hocker nah zu Jamies Stuhl gezogen. Ihre K ö pfe ber ü hrten sich beinahe, als sie auf den Bildschirm schauten. Jamie blickte auf das gigantische Werk uralter Krustenbr ü che, Toshima sah sich mit schmalen Augen die meteorologischen Daten an.
» Eine Anomalie? «
» Ich h ä tte sie schon vor Tagen bemerken m ü ssen, aber jetzt kommen so viele Daten herein …« Er zuckte leicht die Achseln, was gewi ß sowohl eine Rechtfertigung als auch eine Entschuldigung
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