Mars
Joanna, die mit ihren gef ü llten und sorgf ä ltig verschlossenen Probenbeh ä ltern links und rechts neben sich vor dem Loch, das Jamie f ü r sie gegraben hatte, knien blieb wie eine Betende an einem seltsamen Altar.
Und au ß er Jamie, der – beide H ä nde an der Stange – hinter ihr stand wie ein Navajokrieger mit seiner auf den staubigen Boden gestellten Lanze und sich fragte, was seine Kollegen tun w ü rden, falls sich herausstellte, da ß es sich bei diesem gr ü nen Fleck tats ä chlich um echte, lebendige Marsorganismen handelte.
DOSSIER
JOANNA MARIA BRUMADO
Im Alter von sechzehn Jahren nahm sich Joanna ihren ersten Liebhaber und erfuhr kurz danach, daß ihre Mutter im Sterben lag.
Sie war ein Einzelkind und hatte ihr ganzes Leben in ihrem Elternhaus unter der sanften, liebevollen Hand einer Mutter verbracht, die niemals die Stimme erhob, in ihrem Haushalt aber die unumschränkte Herrscherin war. Als Joanna noch jünger gewesen war, hatte sie ihren Vater verehrt, der die Welt bereiste und ungemein respektiert und bewundert wurde. Als sie jedoch die Triebe zu verstehen begann, die ihren eigenen Körper durchströmten, fing sie an, ihren Vater mit neuen Augen zu sehen. Sie merkte, daß Frauen – selbst die Freundinnen ihrer Mutter und Studentinnen in ihrem eigenen Alter – Alberto Brumado mit mehr als nur Respekt und Bewunderung im Blick ansahen.
» Dein Vater ist gutaussehend und sehr romantisch « , erkl ä rte ihre Mutter. » Warum sollten andere Frauen sich nicht nach ihm sehnen? « Und sie l ä chelte zum Beweis daf ü r, da ß sie nicht an der Treue ihres Mannes zweifelte.
» Es liebt uns zu sehr, als da ß er sich etwas aus einer anderen machen w ü rde « , versicherte ihre Mutter. Dann f ü gte sie hinzu: » Seine ganze Leidenschaft gilt dem Planeten Mars und keiner Studentin, die jung genug w ä re, seine Tochter zu sein. «
Joanna war in Sao Paulo geboren; ihr Vater hatte dort an der Universit ä t unterrichtet. Aber sein Interesse am Mars machte es schlie ß lich unumg ä nglich, da ß die Familie in die Hauptstadt umzog, nach Brasilia, obwohl sie die hei ß esten Monate jedes Jahres wie die Politiker und deren Berater in Rio de Janeiro verbrachten.
Ganz gleich, wo sie lebten, Joanna kam in den Klosterschulen so gut voran, da ß ihre Eltern beschlossen, sie auf eine renommierte Vorbereitungsschule f ü r die Universit ä t in den Vereinigten Staaten zu schicken. Ihr Vater freute sich dar ü ber, da ß sie eine wissenschaftliche Begabung an den Tag legte. Ihre Mutter freute sich, weil Joanna ihre einzige unab ä nderliche Regel befolgte: » Tu nichts, was du mir nicht hinterher erz ä hlen kannst. «
Joanna hatte vorgehabt, ihrer Mutter von dem hochgewachsenen, blonden Dozenten zu berichten, mit dem sie ins Bett gegangen war. Sie war wahnsinnig verliebt in ihn und brannte darauf, ihrer Mutter alles dar ü ber zu erz ä hlen. Sie wartete eine Woche, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie rief ihre Mutter an.
Und erfuhr, da ß ihre Mutter genau an diesem Morgen einen schweren Herzanfall erlitten hatte und ins Krankenhaus gebracht worden war. Die Ä rzte wollten Joanna anfangs nicht einmal erlauben, die Schwerkranke zu besuchen, weil sie einen Gef ü hlsausbruch f ü rchteten, der ihr Ende beschleunigen w ü rde. Mit derselben eisernen Selbstbeherrschung, die – wie sie nun erkannte – die gr öß te St ä rke ihrer Mutter gewesen war, versicherte Joanna ihnen, da ß sie ihre sterbende Mutter nicht aufregen werde. Sie schauten in ihr bis zum ä u ß ersten entschlossenes Gesicht und blickten dann zu ihrem Vater. Dieser nickte. » Lassen Sie sie zu ihrer Mutter « , sagte Alberto Brumado mit gebrochener, tr ä nenerstickter Stimme. » Vielleicht ist es ihre letzte Chance, sie noch einmal zu sehen. «
Ihre Mutter sah sehr bla ß und sehr m ü de aus. Schl ä uche liefen von ihren d ü nnen Armen zu seltsamen Maschinen hinter dem Bett, die tuckerten und piepsten. Ein weiterer Schlauch f ü hrte in ihr rechtes Nasenloch. Joanna dachte, da ß sie ihrer Mutter das Leben aussaugten.
Sie weinte nicht. Sie stand an dem hohen Bett, strich ihrer Mutter ü bers Haar und merkte zum ersten Mal, wie d ü nn und grau es geworden war. Ihre Mutter schlug die Augen auf und l ä chelte zu ihr auf.
» Mama …«
» Meine s üß e Tochter « , fl ü sterte die Frau. » Wie sch ö n du geworden bist. «
» Mama, ich liebe dich so! «
» Mach dir keine Sorgen um mich, mein Schatz. « Ihre Stimme
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