Marsha Mellow
Rasch lege ich auf.
So schroff war ich noch nie zu ihr. In punkto Schroffheit sind die Rollen bei uns klar verteilt - normalerweise ist das ihr Part.
Ich lehne mich zurück und denke darüber nach, was sie eben gesagt hat. »Marsha Mellow würde das viel besser handeln.« Scheiß auf Marsha Mellow. Ich hasse die Frau. Besonders jetzt, da sie offenbar der Aufhänger für eine Hetzjagd ist, die von der Daily Mail angeführt wird, der Zeitung, die für meine Eltern das Tor zur Welt ist.
Meine Eltern!
Die Vorstellung, dass die beiden etwas über Marsha Mellow lesen könnten, lässt mich in Schweiß ausbrechen.
»Egal, Amy, wo war ich stehen geblieben?«, reißt mich Julie aus meinen Grübeleien. »Ach ja. Der Typ ist also echt eine Masch ...«
»Tut mir Leid, Julie«, murmle ich erschöpft. »Nicht jetzt.«
Ich will mir jetzt keine schillernden Beschreibungen über Sex anhören. Schillernde Beschreibungen über Sex sind ja an diesem ganzen verdammten Dilemma schuld. Sozusagen.
»Alles okay?«, fragt Julie.
»Nein«, entgegne ich, stehe schwankend auf und stürze in Richtung Toilette.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
»Was immer dir beliebt, Schätzchen«, entgegnet eine unbekannte Stimme aus der Nachbarkabine. Wer auch immer das sein mag, jedenfalls bringt sie mich wieder zur Besinnung. Mir war gar nicht bewusst, dass ich laut gedacht habe. Auch war mir nicht bewusst, dass ich schon so lange auf der Schüssel sitze, dass ich jegliches Gefühl in den Beinen verloren habe.
Trotzdem habe ich hier drinnen nicht meine Zeit verschwendet. Ich habe rekapituliert, wie die Dinge derart außer Kontrolle geraten sind. Ich habe überlegt, wo der Ursprung war. Nicht ganz einfach. Streng deine grauen Zellen an. Nimm mal dein Leben gründlich unter die Lupe und verfolge alles bis an den Ursprung zurück. Nehmen wir an, du hast deine andere Hälfte auf der Arbeit kennen gelernt. Dann fing das ja nicht an jenem Tag an, an dem ihr den ersten Blickkontakt über das Faxgerät hinweg hattet. Es fing auch nicht an deinem ersten Arbeitstag in dieser Firma an. Warum hast du ausgerechnet hier angefangen, sodass ihr euch früher oder später begegnen musstet? Und, davor noch, warum hast du dich damals ausgerechnet für diesen Beruf entschieden? Man kann alles zurückverfolgen. Alles beginnt damit, dass eine Samenzelle von Millionen anderer Spermien zufällig mit einem bestimmten Ei zusammenstößt, woraus du hervorgehst. Spinnt man diesen Faden immer weiter rückwärts, landet man irgendwann unweigerlich bei der Frage, was die eigenen Eltern eigentlich veranlasst hat, sich zu paaren, aus welchen Spermien und Eiern sie selbst, ihre Eltern usw. entstanden sind. Bevor man weiß, wie einem geschieht, steht man am Ursprung der ganzen verdammten Schöpfung und vor den wundersam günstigen Umständen, unter denen die erste Amöbe entstanden ist.
Das ist also der Ursprung von allem.
Ich habe gute Lust, diese Scheiß-Mikrobe plattzutreten - vorausgesetzt, dieser beschissene Einzeller hätte die Nerven, sich mir zu zeigen.
Als ich schließlich an meinen Schreibtisch zurückkehre, ist Julie mittlerweile ebenfalls völlig aufgelöst.
»Wo zum Henker hast du gesteckt, Amy? Ich schiebe hier gerade eine Krise.«
Sie auch?
»Was ist denn?«, frage ich.
»Alan hat angerufen. Um mir für heute Abend einen Korb zu geben. Oh mein Gott, er will mich abservieren, oder? Ich habe es nicht einmal bis zum zweiten Date geschafft.«
Seltsam, seltsam. Normalerweise betrachtet Julie ein zweites Date als bedrohliches Zeichen von Anhänglichkeit. Die meisten ihrer Affären dauern nicht länger als bis zur ersten postkoitalen Zigarette, bevor sie mit einem »Ruf mich nicht an ...« durch die Tür entschwindet. Aber mit Alan ist offenbar alles anders. Er ist Fußballer. Er kickt für Arsenal London. Anscheinend ist er Flügelspieler. Was immer das heißen mag - für mich klingt das, als hätte er mit Klavieren zu tun. Julie behauptet, dass er zwar brillant spielt, aber nicht ins Team kommt, weil er nicht Französisch spricht, was irgendwie keinen Sinn ergibt. Ich bin immer davon ausgegangen, dass man als Fußballer keinen Schulabschluss braucht, geschweige denn Fremdsprachenkenntnisse. Aber ich habe den Mund gehalten - ich will mich nämlich nicht blamieren.
»Mir ist schleierhaft, was schief gelaufen ist«, jammert sie weiter. »Angeblich muss er an einem Sondertraining teilnehmen. Das ist doch bestimmt eine blöde Ausrede. Wüsste
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