Martin, Kat - Perlen Serie
lassen konnte, und diese Chastain hatte demnach jemanden an- geheuert, der Jeffries die Flucht aus Newgate ermöglicht hatte. Zudem sollte es sich bei Grace Chastain um die Geliebte des Viscounts handeln. Sie war diejenige, die seinen größten Feind vor dem Galgen bewahrt hatte.
Nicht die Regierung suchte also bislang nach dieser Frau - Ethan selbst wollte sie einem Verhör unterziehen.
Er war fest entschlossen, Jeffries aufzuspüren, und wusste, dass ihm das früher oder später auch gelingen würde. Ethan glaubte, dass der Mann wahrscheinlich in Frankreich ein be- hagliches Leben führte, er wusste es hingegen nicht mit Sicher- heit. Bevor er den Schuldigen selbst zu fassen bekam, würde deshalb jemand anders für die grausamen Taten des Viscounts herhalten müssen.
Und das würde Grace Chastain sein.
„Ich würde gerne Ihre Papiere sehen, Captain Sharpe", sagte Chambers nun.
„Natürlich." Ethan würde sich so weit wie möglich koope- rativ zeigen. Er wollte keinen Ärger - nur die Frau, die dem Verräter geholfen hatte. Als er dem Kapitän seine Zulassung als Freibeuter der britischen Krone zeigte und sich damit als im Dienste Seiner Majestät stehend auswies, schien Captain
Chambers zufrieden und zur Zusammenarbeit bereit.
„Und wie lautet der Name dieser Reisenden?", fragte Cham- bers, während sie über Deck in Richtung des Salons gingen.
„Grace Chastain."
Der Captain blieb wie angewurzelt stehen. „Da kann es sich nur um eine Verwechslung handeln. Miss Chastain ist ei- ne junge Dame aus guter Familie. Ich kann mir gar nicht vor- stellen, dass sie in etwas Derartiges verwickelt sein könnte wie ..."
„Einem Verräter zur Flucht zu verhelfen? Einen Mann zu be- freien, der Dutzende Menschenleben auf dem Gewissen hat? Wenn Sie jetzt bitte so gut wären, mich zu Miss Chastain zu bringen, Captain."
Im Gesicht des Kapitäns spiegelten sich erneut Zweifel. Nur wenige Schritte hinter ihnen ging Angus McShane, der vorsorglich eine mächtige Hand auf seiner Pistole im Leder- gürtel ruhen ließ. Eine kurze Kopfbewegung Ethans bedeu- tete Angus, dass er seine Leute bereitmachen sollte. Grace Chastain würde die Lady Anne verlassen - auf welche Weise, würde sich zeigen.
„Hier entlang, Captain Sharpe. Wir wollen doch einmal se- hen, was die junge Dame selbst dazu zu sagen hat."
Ethan folgte dem Kapitän die Stiege hinunter in den Salon. In dem prunkvoll ausgestatteten Raum saßen drei Passagiere auf einem Gobelinsofa beisammen, zwei weitere beugten sich über ein elfenbeinernes Schachbrett. Andere lasen oder spiel- ten Karten. Als der Kapitän den Raum betrat, erhob sich einer der Männer vom Spieltisch.
„Was gibt es, Captain?"
„Dies ist Captain Ethan Sharpe von der Sea Devil, Mylord. Es scheint, als wolle er ein paar Worte mit Miss Chastain wech- seln."
Zum ersten Mal betrachtete Ethan die Frau, die am Spiel- tisch saß, genauer. In ihrer schlanken Hand hielt sie noch die Karten der begonnenen Partie. Es überraschte ihn nicht, dass sie attraktiv war - immerhin war sie die bezahlte Begleiterin eines reichen Mannes.
Grace Chastain war allerdings mehr als nur hübsch. Mit ihren grünen Augen, die wie Juwelen funkelten, und einem Teint, der so hell wie Milch schimmerte, war sie atemberau- bend schön. Ihr Haar war rotbraun, ein tiefer Kupferton mit
einzelnen goldenen Strähnen, und über dem dezenten Aus- schnitt ihres seidenen Kleides zeichnete sich der Ansatz ihrer wohlgerundeten Brüste ab.
Sie war jünger, als er vermutet hatte, oder wirkte zumindest so, aber sie war auch kein Schulmädchen mehr. Gleichwohl hatte sie nicht das abgeklärte Aussehen einer Frau von zweifel- haftem Ruf.
Bleich vor Schreck erhob sie sich, und Ethan sah eine große und schlanke junge Frau vor sich stehen, die er unter anderen Umständen unbeschreiblich anziehend gefunden hätte.
Was er stattdessen empfand, war Verachtung.
„Würden Sie bitte einen Moment mit mir kommen, Miss Chastain?", fragte Ethan und zwang sich, seine Stimme freund- lich klingen zu lassen.
„Dürfte ich fragen, weshalb, Captain Sharpe?", entgegnete sie.
„Es wäre besser, wenn wir unser Gespräch unter vier Augen führten."
Ihre Blässe verstärkte sich, doch ein leichter rosiger Schim- mer lag immer noch auf ihren Wangen. „Natürlich."
„Vielleicht sollte ich mit Ihnen kommen, meine Liebe", bot ihr Begleiter an.
Sie bemühte sich, ihn anzulächeln. „Danke, aber das ist nicht nötig. Ich bin mir sicher, dass ich nicht lange
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