Martin, Kat - Perlen Serie
Und neben ihm, dort, das ist das Sternbild des Stieres."
Der Earl zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. „Ich bin beeindruckt, meine Liebe. Ich habe mich selbst ein wenig mit der Sternenkunde befasst, und Ihre Beobachtungen sind vollkommen richtig. Es bereitet Ihnen demnach Vergnügen, die Sterne zu betrachten, Miss Chastain?"
„Es ist eins meiner Steckenpferde. Ich habe sogar ein kleines Teleskop in meinem Reisegepäck und hoffe, dass ich Gelegen- heit haben werde, es während meiner Zeit in Scarborough zu nutzen."
Er lächelte. „Das klingt recht unterhaltsam. Ich werde auf meiner Rückreise in der Gegend vorbeikommen. Vielleicht könnte ich Ihnen einen Besuch abstatten?"
Grace warf dem Earl einen kurzen Blick zu. Er sah gut aus, hatte gepflegte Manieren, war wohlhabend und zudem adelig. Sie hatte sein Interesse vom ersten Moment an bemerkt, brach- te ihm jedoch kein ähnliches Gefühl entgegen. Eigentlich gab es überhaupt nur wenige Männer, die sie reizvoll genug fand, um in ihnen mehr als einen guten Gesprächspartner zu sehen. Manchmal hatte sie sich schon gefragt, ob wohl etwas mit ihr nicht stimmte.
„Sie wären natürlich jederzeit in Humphrey Hall willkom- men. Ihr Besuch würde mich sehr erfreuen." Erfreuen, ja - aber auch nicht mehr. Sie musste an die große Liebe zwischen Ro- meo und Julia denken und überlegte, ob sie selbst wohl jemals dergleichen erleben würde.
Der Wind hatte wieder zugenommen und einige Strähnen ihres rotbraunen Haares gelöst, die ihr nun ins Gesicht weh- ten. Eine eisige Kälte lag in der Luft, und selbst ihr pelzgefüt- terter Umhang konnte nicht verhindern, dass Grace zu frieren begann.
„Ihnen ist kalt", bemerkte Lord Collingwood. „Ich denke, wir sollten jetzt besser wieder in den Salon gehen. Vielleicht hätten Sie ja Lust, mir bei einer Partie Whist Gesellschaft zu leisten."
Warum nicht? Schließlich hatte sie nichts Besseres zu tun. „Es würde mich sehr freuen ..." Sie brach mitten im Satz ab, als sie die aufgeregten Stimmen einiger Matrosen auf der ande- ren Seite des Decks hörte.
Der Earl reckte seinen Kopf, um besser sehen zu können. „Schauen Sie nur! Ein Schiff kommt auf uns zu."
„Ein Schiff?" Grace verspürte einen Anflug von Besorgnis. Ein Schiff, das im Schutz der Dunkelheit auf die Lady Anne zusteuerte, schien ihr kein gutes Zeichen zu sein. Immerhin be- fand England sich im Krieg. Sie ließ sich von Lord Collingwood zum Bug führen. „Sie denken doch nicht etwa, dass es sich um ein französisches Schiff handeln könnte?"
„Das glaube ich kaum. Dazu befinden wir uns zu nah an der Küste." Er wandte sich von der Reling ab. „Aber vielleicht soll- ten wir trotzdem in den Salon zurückkehren."
Grace stimmte zu, obwohl sie lieber noch an Deck geblieben wäre. Im Mondlicht leuchteten die Segel des anderen Schiffes hell auf. Es war ihnen jetzt schon sehr nah, und Grace' Unruhe nahm stetig zu.
„Das sieht nach einem Schoner aus", stellte der Earl fest. Das Schiff lag tief im Wasser, und die beiden Masten hoben sich majestätisch über den Wellen empor. Der Earl bemerkte die britische Flagge am Heck im selben Moment wie Grace, und sie hörte ihn erleichtert aufatmen.
„Kein Grund zur Besorgnis. Es ist eines unserer Schiffe." „Ja, es scheint so ..." Doch wenn Grace an den Grund ihrer Reise dachte, sah sie ihre Befürchtungen keineswegs gemin- dert.
„Es tut mir Leid, Ihre Fahrt unterbrechen zu müssen, Cap- tain." Ethan Sharpe lehnte an der Reling und sprach mit Colin Chambers, dem Kapitän der Lady Anne. „Ich komme
jedoch in einer dringlichen Angelegenheit. Es geht um einen Ihrer Passagiere."
„Um wen soll es sich denn handeln?"
„Eine Person an Bord Ihres Schiffes wird wegen Landesver- rates gesucht. Die Verdächtige muss auf dem schnellsten Wege nach London gebracht werden und sich einer Befragung durch die Behörden stellen."
„Die Verdächtige?"
„Ja, bei dem gesuchten Passagier handelt es sich um eine Frau."
Chambers runzelte zweifelnd die Stirn. „Und Sie behaup- ten, dass diese Frau von der Regierung gesucht wird?"
„Leider sieht es ganz so aus." Nun, das entsprach zwar nicht vollkommen der Wahrheit, denn Ethan war einer der wenigen, die wussten, dass sie es war, die für die Flucht des Verräters Harmon Jeffries, Viscount Forsythe, verantwortlich war - des Mannes, der Ethan verraten und ihn seines Schiffes und seiner Mannschaft beraubt hatte.
Doch Ethan wusste, dass er sich auf seinen Informanten ver-
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