Martin, Kat - Perlen Serie
verweilte dann einen Moment auf ihrem De- kolletee, bevor er sich wieder ihrem Gesicht zuwandte.
„Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Miss Chastain, dann möchte ich sagen, dass Sie heute Abend besonders ein- nehmend aussehen."
„Ich danke Ihnen, Mylord."
„Und diese Perlen, die Sie tragen ... sind wirklich sehr außer- gewöhnlich. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Perlen- reihe gesehen zu haben, die so harmonisch wirkte oder von so berückender Farbe gewesen wäre."
Unbewusst berührte Grace mit den Fingern die Perlen, die sich an ihren Hals schmiegten. Die Kette war ein Vermögen wert. Wahrscheinlich hätte Grace ablehnen sollen, doch To- ry hatte darauf bestanden, sie ihr zu schenken - und war es nicht ein wunderbares Schmuckstück? Von dem Moment an, da Grace sie sich umgelegt hatte, schien sie ihrem Bann erle- gen zu sein.
„Sie sind schon sehr alt", erklärte sie nun dem Earl. „Aus dem dreizehnten Jahrhundert. Es rankt sich eine tragische Ge- schichte um diese Kette."
„Tatsächlich? Vielleicht könnten Sie sie mir eines Tages er- zählen."
„Das täte ich sehr gerne."
In diesem Moment begann der Kapitän von dem Fortschritt zu berichten, den sie bislang auf ihrer Reiseroute gemacht hat- ten. Danach zählte er die Speisenfolge des heutigen Abends auf. Die Weingläser wurden gefüllt und silberne Schalen mit verschiedenen Gemüsen, Fleisch und Fisch aufgetragen.
„Und, meine liebe Miss Chastain, wie haben Sie den Tag ver- bracht?" Lord Collingwood lehnte sich zurück, als ein livrier- ter Diener ihm ein saftiges Stück Huhn in Zitronensauce auf
den Teller legte.
„Wäre das Wetter nicht so unwirtlich gewesen, hätte ich sehr gerne einen kleinen Spaziergang gemacht." Nur war der Febru- artag bedeckt und eisig kalt, die See unruhig und aufgewühlt. Glücklicherweise litt sie nicht an der Seekrankheit, so wie ihre Kammerzofe und einige andere der Passagiere an Bord. „Ich habe meist gelesen."
„Und welches Buch?"
„Eines meiner liebsten Stücke von Shakespeare. Lesen Sie auch gerne, Mylord?"
„Aber ja, natürlich." Seine Zähne standen ein wenig schief, dennoch war sein Lächeln recht einnehmend. „Und auch ich schätze unseren Barden sehr." Seiner Bemerkung folgte ein kleiner Vortrag über King Lear, welches das Lieblingsstück Seiner Lordschaft war.
Grace erzählte nun, dass ihr Romeo und Julia am besten ge- fiel.
„Ah, eine Romantikerin!", stellte der Kapitän daraufhin fest und beteiligte sich an ihrer Unterhaltung.
Sie lächelte. „Eigentlich würde ich mich selbst nicht so be- zeichnen, aber ein bisschen romantisch bin ich vielleicht doch. Und Sie, Captain Chambers? Welches Werk Shakespeares mö- gen Sie am liebsten?"
Für eine Antwort blieb keine Zeit, da in diesem Moment die Türen des Salons aufgestoßen wurden und ein kräftiger Mat- rose am Kopf der Stiege erschien. Er kletterte nach unten und eilte zum Kapitän.
Grace konnte nicht hören, was die beiden sprachen, doch nach kaum einer Minute stand der Kapitän entschlossen auf. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden. Es scheint, als würde die Pflicht mich rufen." Ein Raunen ging durch den Raum, und Chambers bedachte alle Anwesenden mit einem zuversichtlichen Lächeln. „Ich bin mir sicher, dass kein Anlass zur Beunruhigung besteht. Bitte genießen Sie weiterhin den Abend."
Er verließ den Speisesaal, und die Unterhaltung wurde so- gleich wieder aufgenommen. Niemand schien über die Maßen besorgt zu sein, wenngleich alle Passagiere neugierig waren zu erfahren, was wohl vor sich ging. „Falls es von Bedeutung ist", meinte der Earl, „werden wir sicher davon hören, sobald der Captain zurückkommt." Sie
plauderten während des ganzen Essens sehr vergnüglich, und nach dem Dessert lud Lord Collingwood Grace zu einem klei- nen Gang über Deck ein.
„Es sei denn, Sie fänden es draußen zu kalt."
„Ich fände einen Spaziergang herrlich!" Gegen Abend hatte das Wetter etwas aufgeklart, und das Meer schien sich langsam zu beruhigen.
Lord Collingwood begleitete sie bis an die Reling, und Grace atmete tief die frische Seeluft ein. Sie konnte das leichte Auf und Ab der Wellen spüren und sah den silbrigen Schimmer, den der Mond auf die Wasseroberfläche warf.
Verträumt lehnte sie den Kopf zurück und sah zu den Ster- nen auf, die sich wie weiße Kristalle vom pechschwarzen Nachthimmel abhoben. „Sehen Sie das Gestirn direkt über uns?" Sie deutete in die Dunkelheit. „Das ist Orion, der Jäger.
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