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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Galerie ihres Ruhms einer Fotomontage gleicht.
    Frühes Disneyland, denkt Anna, und auch die Möbel erinnern an eine Filmkulisse, sie kann sich bloß nicht an den Film erinnern. The Great Gatsby?
    »Beeindruckend.« Anna dreht sich zu Jacob Lenz um, der einladend auf ein rotes Sofa weist, das Annas Wohnzimmer beinahe ausfüllen würde.
    »Ja, sie war eine bemerkenswerte Frau. Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Ein Glas Champagner?«
    Anna nickt, obwohl Kamillentee besser wäre. Sie hat den Morgen in ihrer Toilette verbracht, kniend, und jetzt geht es ihr besser, aber nicht so weit, dass sie Schampus trinken sollte. Na ja, vielleicht ein kleiner Schluck für den Kreislauf, und ohnehin ist es jetzt zu spät, denn Lenz ist schon auf dem Weg zur Hausbar, die fast so gut bestückt ist wie Sibylles Kneipe. Er geht wie John Wayne in einem Western, den sie vor kurzem im Fernsehen sah. Es war einer jener Streifen, in dem von Dach zu Dach geschossen wird, ohne dass man weiß, wer auf wen zielt und warum. Es war einer dieser Abende, an denen sie von einem Kanal zum anderen zappte auf der Suche nach Liebe, zumindest auf dem Bildschirm.
    Jacob Lenz öffnet die Flasche mit geübten Griffen, sehr konzentriert auf sein Tun, und Anna, versunken in roten Samtbezügen und umrahmt von herzförmigen Kissen, beobachtet ihn. Weiße lange Haare, kunstvoll geföhnt, über einem Gesicht, das noch einige Spuren von Attraktivität aufweist, obwohl die Jahre wie ein Orkan gewütet haben. Tiefe Falten beherrschen die Stirn- und Augenpartie. Er hat angewachsene Ohrläppchen, die nach Meinung von Annas Mutter auf schlechten Charakter schließen lassen. Die Mutter hat ihre gesammelten Vorurteile nie wirklich begründen können, sodass Anna irgendwann aufgab, sie zu hinterfragen.
    Lenz trägt einen goldenen Ohrring und schwarze Kleidung, die sich als »lässige Eleganz« beschreiben ließe. Schwarze Schuhe, immerhin, aber über die weißen Socken könnte man streiten. Deshalb ist sie nicht hier. Er hat nachts auf ihren Anrufbeantworter gesprochen und um Rückruf gebeten. Als sie es am späten Morgen tat, bat er sie, in die Grunewalder Villa zu kommen, doch er nannte keine Gründe. Neugierig, wie Anna von Natur und aus professionellen Gründen ist, folgte sie seiner Einladung. Dass der Filmagent sich so schnell für sie verwandte, verwunderte sie. Und erst jetzt, auf der Couch, kommt ihr der Gedanke, dass der Witwer das Geld zurückfordern könnte.
    Lenz stellt das Glas vor Anna auf den Tisch und setzt sich neben eine Knoblauchwolke. Kein Naserümpfen, vielleicht hat Koks seine Geruchsnerven bereits vernichtet. »Prost, Anna Marx. Wissen Sie, dass Sie ihr ein wenig ähneln? Eine jüngere und schlankere Ausgabe von Rosi natürlich – und nicht so blond und tot.«
    Er lacht über seinen Witz, und Anna verzieht ihren Mund. »Mein Beileid«, murmelt sie. Eine schreckliche Floskel, die zu seinem furchtbaren Humor passt. Außerdem mag sie es nicht, wenn Leute ihr beim Sprechen zu nahe kommen. Sie rückt, so gut es geht, von ihm ab. Dies ist nicht sein erstes Glas an diesem Tag, aber gut, der Mann ist trostbedürftig. Sollte er zumindest sein.
    »Sie fragen sich sicher, weshalb ich Sie angerufen habe. Ich will es Ihnen sagen: Sie standen in Rosis Terminkalender, Ihr Name und die Telefonnummer. Und da Sie weder Schauspielerin sind noch zu unserem Bekanntenkreis gehören, habe ich mich gefragt, was sie von Ihnen wollte. Sie haben also eine Detektei im Scheunenviertel. Das muss ein interessanter Beruf sein.«
    Warum nur hat sie das Gefühl, dass er ohnehin schon alles weiß? Weil er spricht wie im Theater und das Ende des Stücks bereits kennt? »In Filmen kommt die Branche besser rüber, Herr Lenz. Die Wirklichkeit ist schrecklich langweilig.«
    Jacob Lenz wirft seinen Kopf mit den weißen Haaren zurück, es sieht grandios aus. Seine tragende Stimme hallt durch den Raum: »Es gibt Schwarz und Weiß und dazwischen Grau. Das sind wir. Eine schwierige Farbe, so schwer zu bestimmen. Ich habe stets versucht, diesem Grau zu entkommen. Rosi hat das verstanden.«
    Mit Koks? Ein Laster, dem Anna nie näher getreten ist. Sie hat genügend andere, was zu bedauern wäre, wenn sie nicht so viel Genuss bereiteten. »Detektive sind von Berufs wegen neugierig. Wie konnte das geschehen?«
    Lenz hat das tragische Lächeln abgesetzt und mustert Anna jetzt spöttisch. »Wollte ich nicht Sie befragen? Ich war dort, und wenn ich Ihnen jetzt erzähle, was passiert

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