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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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einerseits herausfordert, getreten zu werden, es andererseits aber nicht verkraften kann. Der Mann ist eine wandelnde Zeitbombe… dabei mag ich ihn eigentlich… er ist so ein anständiges Arschloch, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Das Adjektiv klingt aus seinem Mund wie ein Schimpfwort, denkt Anna, und sieht ihn zum Handy greifen. Gab es Leben auf der Erde vor der Erschaffung des mobilen Telefons? Lenz springt auf und geht in Richtung Veranda, während er telefoniert; es ist so unhöflich und wird dadurch nicht besser, dass alle es tun. Anna nimmt ihr Handy aus der Handtasche, als es klingelt, und drückt die Anruftaste zu spät, sie kann also nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Und sie kann Lenz nicht hören, der Raum ist zu groß, und er spricht leise. Die Telefonanlage im Haus ist auf Anrufbeantworter geschaltet, sie sieht den roten Punkt immer wieder aufleuchten; der Witwer ist ein gefragter Mann, vermutlich wollen alle Journalisten Interviews. Wie fühlten Sie sich, nachdem Ihre Frau mit der Klobürste erschlagen wurde? Werden Sie die Firma weiterführen? Wird es einen Film über Frau Starks Leben geben? Und so weiter…
    Eigentlich ist Anna froh, dem Gewerbe entronnen zu sein, auch wenn sie sich den Ausstieg spannender vorgestellt hatte. Vielleicht gibt Lenz ihr ja den Auftrag, den Mörder seiner Frau zu finden? Endlich eine Herausforderung, der sie eindeutig nicht gewachsen ist. Nein, er versucht nur, sie über Harry auszuhorchen, was dafür spricht, dass hinter der Sache mehr steckt, als Rosamunde zugegeben hat. Denn hinter allen Sprüchen und Gebärden macht Jacob Lenz den Eindruck, ein sehr nervöser Mann zu sein. Wovor fürchtet er sich?
    »Entschuldigung, es war unser Anwalt. Ans Haustelefon gehe ich ohnehin nicht mehr.« Lenz setzt sich wieder zu Anna, nachdem er Oscar ins Freie entlassen hat. Er lässt die Schiebetür offen, und Anna blickt neidisch auf den Rasen, der von Kastanienbäumen begrenzt ist. Sie hätte so gern einen Balkon, sie hat einen, doch er ist wegen Einsturzgefahr nicht zu begehen. Manchmal steht sie davor und denkt, sie wagt es. Einen Schritt nur… und sie spielt mit dem Gedanken, an ihrem fünfzigsten Geburtstag das Abenteuer Balkonbegehung zu riskieren. Wenn sie fällt, wird sie es erstens wissen und zweitens nie mehr daran denken müssen, wie die nächsten zehn Jahre aussehen…
    »Nach der Sache mit dem Hund nannte meine Frau Harry einen Mörder. Glauben Sie, dass er…?«
    »Ich weiß nichts«, erwidert Anna. »Wollen Sie mich nicht aufklären? Wie ist es überhaupt passiert?«
    Jacob Lenz konnte sich nie zwischen Faust und Mephisto entscheiden, schon gar nicht nach dem dritten Glas. Und er ist allein, was er im Zustand halber Trunkenheit kaum erträgt. Tatsache ist, dass er sich schon lange nicht mehr ertragen kann. Das Einzige, das hilft, ist, den Selbstekel auf andere zu projizieren. Zu versuchen, sie stellvertretend zu zerstören. Die Besucherin wächst vor seinen Augen in ein großes, rotes, fettes Ungeheuer. Ein Drache, und Mephisto wechselt in dieses Stück und erschlägt ihn nicht mit dem Schwert, sondern mit der Champagnerflasche. Man muss nehmen, was zur Hand ist…
    Jacob springt auf und läuft aus dem Zimmer. Er flieht vor seinen Horrorvisionen, und die Flasche hält er in der Hand…
    Anna sieht ihm nach, verwirrt, doch nicht bereit, schon zu gehen. Vielleicht holt er Nachschub oder muss zur Toilette? Einen Augenblick lang sah er völlig irre aus. Als ob er einen Geist gesehen hätte, doch ist Rosamunde ohnehin präsent in diesem Raum, sie hängt an den Wänden in silbernen Rahmen, und sie lächelt ohne Ende. Anna zündet sich eine Zigarette an und steht auf, um die Fotos zu betrachten. Zumindest eine Weile wird sie warten, bis der Hund sie frisst oder der Hausherr wiederkommt. Liam Neeson hat den Arm um die Produzentin gelegt, darum könnte man sie beneiden. Billy Wilder küsst sie auf die Wange, da war Rosamunde noch jünger und dünner. Komische Frisuren trug sie immer schon und zu viel Schmuck, und auf den frühen Fotos war ihr Gebiss noch nicht so perfekt, dafür das Lächeln echter…
    »Sorry, dass ich Sie so lange allein gelassen habe. Wie unhöflich von mir. Möchten Sie noch was trinken?«
    Lenz muss sich hereingeschlichen haben, denn er steht jetzt hinter Anna und schaut über ihre Schulter auf die Bildergalerie. »War sie nicht eine bedeutende Person? Das Universum, in dem wir unsere Bahnen ziehen durften… ich habe sie schrankenlos

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