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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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will, dass es Harry war.«
    Er sieht nicht so entsetzt aus, wie sie dachte. Und Anna fühlt sich jetzt gut, besser als je zuvor. Magische Wahrheit. Man sollte sie öfter ausprobieren. Doch nun folgt die unvermeidliche Frage: »Bist du deshalb mit mir ins Bett – um etwas über Harry zu erfahren?«
    Anna schüttelt den Kopf. »Nein.« Die Wahrheit ist, dass sie reif war und er der richtige Mann im rechten Augenblick. Zu brutal, das zu erklären. Und leichtfertig über Liebe zu reden hat sie irgendwann, irgendwie verlernt. Sie möchte, dass er sie jetzt in den Arm nimmt und sagt, dass alles gut sei. Und sei es nur für den Augenblick…
    Er ist unentschieden. Sie kann es an seinem Gesicht ablesen. Zu viel Wahrheit ist wie bittere Medizin, deren heilende Wirkung nicht sicher ist. Das Hungergefühl ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sie der Tröstung bedarf. Wenn er sie jetzt küsste, würde sie ihn überwinden, den Hunger. Doch er tut es nicht. Er sieht durch sie hindurch in eine Welt, die ihr fremd ist. Es sind nicht nur die Jahre, die zwischen ihnen stehen, sondern auch seine und ihre Vergangenheit. Die gelebten Jahre. Alle Täuschungen und Enttäuschungen. Sex ist zu einfach und die Liebe zu kompliziert.
    »Wir sollten gehen«, sagt Rafael. »Ich habe noch viel zu erledigen… und Lily wird immer verwirrter, man muss auf sie Acht geben.«
    Die Stadt ist voller Engel. Der, den Anna jetzt sieht, ist aus Stein und mit Vogelkot übersät. Er kann sich nicht wehren, denkt Anna, und dass dies auch auf Lily zutreffen könnte.

13. Kapitel
     
     
     
    »Warum gehen Sie nicht zur Polizei, wenn Sie Informationen haben?«
    Marlowe alias Marx sieht aus dem Glasfenster auf den Fluss, der sich durch Berlin schlängelt wie ein flüssiger Tausendfüßler. Immer wollte sie am Wasser, am Meer wohnen, und bisher hat sie es nur an dieses Ufer gebracht. Ihr Schweigen irritiert Hanni Pelzer, ein alter Trick aus Journalistentagen, das Gegenüber zum Reden zu bringen, ohne Fragen, auf die es ohnehin nur stereotype Antworten gibt.
    Doch Rosamundes Nichte scheint das Spiel zu kennen. Sie schweigt auch, und Anna sagt schließlich: »Die haben ihre Methoden und ich meine.« Klingt gut, sagt aber gar nichts. Immerhin haben die Informationen, die sie telefonisch ankündigte, Hanni Pelzer dazu gebracht, sie in ihrem Büro zu empfangen. Sie wirkt fahrig und nervös, und sie sieht Anna nicht an, wenn sie mit ihr spricht. Ihre Augen hinter modischen Brillengläsern halten sich an Filmpostern fest, die die Wände ihres Büros zieren. Casablanca darf nicht fehlen, Anna hat ihn sechsmal gesehen und sechsmal geweint. Zumindest in Filmen fordert sie ein Happy End für die Liebe, und edle Entsagung steht nicht auf ihrem moralischen Diätplan.
    »Ein gewaltsamer Tod und polizeiliche Ermittlungen sind eine schreckliche Erfahrung. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie einmal durchleben muss. Rosi erschien mir irgendwie… unsterblich.«
    Hülsenfrüchte von Worten, und Anna nickt mitfühlend und kann nicht umhin, Sympathie zu empfinden. Hanni Pelzer hat so gar nichts mit ihrer Tante gemein. Sie ist so unscheinbar, dass sie mit ihrer Umgebung zu verschmelzen scheint. Das Büro ist in Braun gehalten, und die Möbel wirken fast schäbig. Nur der Laptop, aufgeklappt, kündet von modernen Zeiten. »Sie war sehr imponierend«, sagt Anna.
    »Ach, sie haben ja für Rosi gearbeitet, kurz bevor… Es ist so schrecklich, was da passiert ist…«
    Hanni Pelzer nimmt ihre Brille ab und wirkt noch verletzlicher. Auf ihrem Schreibtisch steht ein silberner Rahmen, der mit Rosis Bild gefüllt ist. Sie hat ihren Arm um die Nichte gelegt und lächelt wie üblich. Hanni folgt Annas Blick und führt ein Taschentuch in die Augenwinkel, obwohl Tränen nicht erkennbar sind. Alles Film, denkt Anna nicht zum ersten Mal in Berührung mit diesem Fall. Trotzdem würde sie gern etwas Tröstliches sagen, um den Zwerg aufzurichten. Nur fällt ihr nichts ein außer der berüchtigten Beileidsfloskel.
    »Sie war stets mein großes Vorbild. Meine Mutter, wissen Sie, ist eine Säuferin, und von ihr habe ich nur gelernt, wie man Flaschen be- und entsorgt.«
    »Das tut mir leid«, sagt Anna. Wie hat dieses zarte Wesen nur die überwältigende Präsenz Rosi Starks ertragen können? Doch nein, jetzt, da Hanni ihre Kostümjacke auszieht, sieht Anna, dass sie sehr muskulös ist. Eine Gewichtheberin. Und der tränenumflorte Blick ist einem harten Funkeln gewichen. Jekyll and Hyde, denken Marlowe

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