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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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die Augen. Sie weiß nichts von ihm, nur, dass er in ihr Leben eingedrungen ist. Mit Harry und Lily im Schlepptau, und alles ist reichlich kompliziert geworden. Allein ist er nicht zu haben – und sie will ihn ja auch gar nicht. »Worum ging der Streit?«
    »Lily wollte ihm ein Alibi geben… für die Tatzeit, du weißt schon. Sie hatte sich alles ganz fein ausgedacht, aber Harry brüllte sie an, dass er ihre Lügen nicht brauche. Er war so wütend auf sie, ich verstand es gar nicht, denn sie wollte ihm nur helfen. Lily hat sich immer als eine Art Schutzengel von Harry gesehen. Es war ganz normal, dass sie ihm das anbot.«
    Schon wieder Engel. Sie sollten bleiben, wo sie vielleicht sind, denkt Anna: im Zwischenreich von Fantasie und Frömmelei. »Es würde zu ihm passen, nicht lügen zu wollen, wenn er unschuldig ist.«
    Zu viel Konjunktiv, doch er nimmt den Satz dankbar auf.
    »Die Familie fällt auseinander«, sagt er, »und Lily schleicht durchs Haus wie ein verirrtes Gespenst. Sie macht mir Angst. Ich mache mir Sorgen um Harry. Und ich hatte Streit mit meinem Boss. Alles läuft schief, wie du siehst. Ich sollte auch abhauen.«
    Der Stich in der Gegend, wo ihr Herz zu vermuten ist, erschreckt sie. Deshalb sagt Anna, dass es immer gut sei, seinem Instinkt zu folgen. Sie sagt oft das Gegenteil von dem, was sie denkt. Aus Selbstschutz, Höflichkeit, Feigheit, Gemeinheit… es gibt viele Gründe zu lügen, und nur wenige, die für die Wahrheit sprechen. Offne dein Herz, und du bist nackt. Und sie werden dich aus dem zweifelhaften Paradies der Unberührbarkeit vertreiben…
    »Ich brauche jetzt einen Menschen, an dem ich mich festhalten kann«, sagt Rafael. »Wenn dir der sexuelle Aspekt peinlich ist, könnten wir doch auch Freunde sein.«
    »Das ist noch anspruchsvoller«, sagt Anna und setzt ihre Sonnenbrille auf. Sie fühlt sich benutzt und auch irgendwie gedemütigt. Sie ist selbst schuld, und er ist ein Idiot.
    Es gibt Sonnenuntergänge in Berlin, die könnten in der Südsee stattfinden. Sie nimmt die Gläser wieder ab und schaut in den Himmel. Die Farben sind nicht nachzumalen, vielleicht, weil sie so vergänglich sind. Alles, was bleibt, verliert an Zauber. Und wenn sie sich jetzt an jeden schönen Augenblick ihres Lebens erinnern könnte, wäre sie glücklich.
    »Ich glaube nicht, dass Harry sie umgebracht hat«, sagt Anna, und er legt seine Hand auf ihre. Die Farben verglühen. Seine Finger sind kurz und dicklich, seltsam, dass ihr noch nicht aufgefallen ist, wie hässlich seine Hände sind. Sie hat immer nur auf sein Gesicht und diesen Körper geschaut – oder sie hat die Augen geschlossen. Macht sie immer beim Sex, es hilft bei der Konzentration auf die eigene Lust.
    »Ich glaube ihm einfach.« Rafael legt seinen Arm um die Freundin und zieht ihren Kopf ganz sanft an seine Schulter. »Vielleicht ist es auch besser so. Ich meine, dass er abgetaucht ist, bis alles vorbei ist. Nur Lily ist ganz versessen darauf, ihn zu finden. Sie macht mich wahnsinnig… ruft dauernd bei mir an. Deshalb hatte ich Ärger im Restaurant. Wir dürfen während der Schicht nur in Notfällen telefonieren.«
    Anna ist zum Stillstand gekommen, zumindest für die Zeit, bis das Rot gänzlich vom Himmel verschwunden ist. »Was macht Lily überhaupt? Sie muss doch von irgendetwas leben.«
    »Sie braucht nicht viel. Sie isst wie ein Spatz. Und ihre Garderobe kriegst du in eine Schublade…«
    »Frisör braucht sie auch keinen…«
    »Du magst sie nicht. Aber sie ist… rührend. Ein Kind, verstehst du? Lily weigert sich, erwachsen zu werden. Dazu gehört die Ablehnung regelmäßiger Arbeit. Sie jobbt gelegentlich als Aktmodell oder Aushilfskellnerin. Einmal hatte sie eine kleine Rolle in einer Fernsehserie. Harry hat sie ihr verschafft, als er noch ein paar Beziehungen hatte. Seither glaubt sie, dass sie zur Schauspielerin berufen ist. Nein, sie weiß es. Lily zweifelt nie an sich. Oder daran, dass sie Harry liebt und für ihn durch alle Feuer gehen würde.«
    Es klingt ein wenig bitter. Oder eifersüchtig. Anna spürt noch einmal den Stich. Sie hat nichts Feenhaftes an sich. Sie ist schrecklich bodenständig – zumindest in der Außenansicht. Die gute Freundin und Ersatzmutter für Sibylles ungeborenen Balg. Alle Sehnsüchte sind unter der Asche der Enttäuschungen begraben. Nein, sind sie nicht. Und wenn es nicht dieser Mann ist, woran sie ohnehin nie glaubte, dann wird ein anderer kommen. »Hast du jemals daran gedacht, dass

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