Marzipaneier (Junge Liebe)
ich alles brauchen werde. Das Ticket ist schweineteuer. Das ist es mir wert. Ich möchte frei sein. Ich beeile mich. Der Bahnhof ist riesig. Um 12.15 Uhr ist Abfahrt. Schnell habe ich eine Fahrkarte gelöst. Vor dem Waggon zögere ich einen Moment. Ich drehe mich kurz um. Mache ich damit nicht alles noch schlimmer? Ich habe es so weit geschafft. Der Rest sollte ein Kinderspiel sein! Hopp, auf geht’s! Schlimmer kann’s wohl kaum noch werden. Der Schaffner pfeift zur Abfahrt. Los, bevor es zu spät ist. Ich greife nach dem Geländer und steige ein. Geschafft! Gegen halb fünf werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, in Berlin ankommen. Ich freue mich auf Ben und bin gespannt auf sein verdutztes Gesicht, wenn ich plötzlich vor ihm stehe. In Berlin bin ich noch nie gewesen. Da geht bestimmt einiges.
Nach stundenlanger Fahrt bin ich in der Hauptstadt. Taxis en masse. Eines von denen wird mich doch mitnehmen? Ich sehe mein Geld dahin schwimmen, aber ich habe keine andere Wahl. Ich kenne mich hier nicht aus. Ich habe nicht einmal eine Straßenkarte. Ich weiß nur, dass ich mich „Unter den Linden“ orientieren muss. Dort ist der Sitz der Deutschen Bank und ganz in der Nähe befindet sich Bens Wohnung. In einem riesengroßen neuen Gebäudekomplex. Der Taxifahrer weiß genau, wohin er muss. Ich kenne nur die Adresse, gespeichert im Notizblock meines Handys. Die Stadt ist imposant. Eine einzigartige Baustelle. Die größte Europas.
Ich stehe vor dem neuen Haus – ein Mehrfamilienhaus mit zahlreichen Apartments. Ich hoffe Ben anzutreffen. Er weiß nicht, dass ich komme. Sein Namensschild ist schon am Hauseingang angebracht. Als ich klingeln will, kommt mir eine Familie entgegen. Sie öffnen die Tür und ich steige hinter einem Jungen, der in meinem Alter sein dürfte, aber scheinbar nicht zu ihnen gehört, die Treppen hinauf. Auf jedes Stockwerk sind drei Apartments verteilt. Kaffeegeruch macht sich im Treppenhaus breit, obwohl es schon fast 18 Uhr ist. Der Junge stiert mich neugierig an. Ben wohnt im dritten Stock. Daneben versucht der mit Tüten voll bepackte Typ krampfhaft die Wohnungstür aufzusperren. Ich helfe ihm. Wieso soll er sich quälen? Gegenüber der Tür ist der Eingang zu Ben. Ich läute. Und warte. Mein Herz pocht. Ich bin nervös. Es öffnet keiner. Mist! Ich klingle noch einmal. Humpelnden Schrittes nähert sich jemand der Tür. Er ist da! Ich will erleichtert sein, bin aber ebenso angespannt, weil ich nicht weiß, wie er mich aufnehmen wird, nachdem Dad ihm gedroht hat. Er hat immer noch Probleme mit seinem Bein. Ich muss doch für ihn da sein! Die Tür öffnet sich. Ben! Mit erstaunter Miene steht er vor mir, ein Marmeladenbrot in der Hand. Er sagt nichts. Seine Augen verraten Erstaunen und Freude. Er sieht verdutzt und beruhigt aus.
„Ben! Ich habe es nicht mehr ausgehalten.“
Ich falle ihm um den Hals. Er hält mich fest. So fest wie selten zuvor und sagt nichts. Ich könnte schon wieder weinen. Wir betreten die Wohnung. Ich hoffe nicht ungelegen zu kommen. Viele Kisten und Kartons zieren den Flur.
„Ich bin noch dabei mich einzurichten. Kannst Bergsteigen üben.“
Schöne, geräumige Zimmer. Ähnlich seiner Singlewohnung vom Westend damals.
„Schau dich um. Insgeheim habe ich auf dein Kommen gehofft.“
Ausnahmsweise ist die Küche aufgeräumt. Nur ein Teller mit Brot steht auf dem mickrigen Tisch, daneben Mineralwasser. Es riecht nach frischer Farbe.
„Es geht noch nicht so schnell, wie ich es gerne hätte. Aber ich bin zuversichtlich. Jeden Tag etwas mehr.“
Im Wohnzimmer ist sein großer Fernseher aufgebaut. Ebenso die blaue Couch. Es kommt mir vor wie damals, als ich ihn zum ersten Mal im Westend besuchte. Ein Zimmer steht leer. Überall ist es hell und freundlich. Rechts neben dem Eingang befindet sich das Bad. Wenn man weitergeht kommt das Wohnzimmer, dann das leere Zimmer und links geht es mit der Küche und anschließend dem Schlafzimmer weiter. Hier könnte man sich wirklich wohlfühlen.
„Ich dachte, das leere Zimmer ist deines. Wenn du mich mal besuchen kommst.“
„Im ernst? Sei mir nicht böse, aber ich würde, wenn ich hier bleibe, gerne in der ganzen Wohnung leben. Nicht nur in einem Zimmer. Verstehst du? Ich möchte bei dir schlafen.“
Ben freut sich.
„Trifft sich gut. Dann brauchen wir morgen kein Bett für dich zu kaufen. Meins ist groß genug für uns beide und das dritte Zimmer richten wir dann für die Besuche von Tim und Kim ein.“
Er geht vor mir
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