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Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
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ihren Einfluss auf die Industrie bedroht – zu frisch war die Erinnerung an die wirtschaftliche Ausbeutung und Bevormundung durch die Kolonialmächte. Das Rennen um ein Joint Venture, für das der indische Staat einen Partner suchte, machten 1983 die Japaner. Die Kleinwagen der Marke Maruti Suzuki prägen seitdem das Straßenbild. Gegen diese Blechkisten wirkt ein Polo wie eine Limousine: Die Räder eines weit verbreiteten Modells haben den Durchmesser einer Langspielplatte. Außerdem gibt es winzige Busse, in die überraschende Mengen von Menschen gestopft werden können. Der Marktvorsprung der Japaner in Indien war Volkswagen eine Milliardensumme wert, mit der sich die Wolfsburger im Dezember 2009 bei Suzuki einkauften. Damit wollen die deutschen Autobauer, die den Einstieg in den indischen Massenmarkt bisher verschliefen, wenigstens etwas aufholen. Die internationale Konkurrenz und der Wille der Firmen, Fahrzeuge anzubieten, die einfach ausgestattet sind, führt zu einem Preiswettkampf – und zu immer mehr Privatautos auf Indiens Straßen. Die über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gewordene Neuerung ist der Tata Nano, ein Kleinstwagen für weniger als 130 000 Rupien, also nicht einmal 2 000 Euro. Aber auch eine Reihe anderer Firmen, die meisten aus Asien, planen, ähnlich günstige Autos auf den indischen Markt zu bringen. Der Großteil der indischen Bevölkerung kann sich so eine Investition zwar nie im Leben leisten, aber in einem Volk von über einer Milliarde stellen auch Minderheiten in absoluten Zahlen sehr, sehr viele Menschen. So ist zu erwarten, dass sich in den nächsten Jahren die Zahl von Privatautos in Indien deutlich erhöhen wird.
    Nicht alle Inder sehen das positiv. Schon jetzt leiden indische Städte unter Verstopfung sowie lärm- und abgasbedingter Umweltverschmutzung: Die Altstädte sind nicht für motorisierte Blechlawinen eingerichtet, denn die Straßen sind verwinkelt und eng. Eine Fahrt durch Neu-Delhi, die in den frühen Morgenstunden eine Stunde dauert, kann zu Hauptverkehrszeit gut die dreifache Zeit beanspruchen. Abgesehen von Riesenstädten wie Bombay und Neu- Delhi, wo große Kampagnen die Umsiedlung von Kühen vorantrieben, ist es auch normal, dass eine Straße durch solche Tiere verkehrsberuhigt wird. Allerdings bleibt der Gesetzgeber nicht untätig: Schon vor Jahren sorgten in der Hauptstadt Neu-Delhi, das sich bis zur Jahrtausendwende mit Mexiko-City den Titel der Metropole mit der stärksten Luftverschmutzung teilte, für spürbare Verbesserungen: Alle Autorikschas und Busse fahren heute mit dem etwas verschmutzungsärmeren Erdgas, verarbeitende Industrie mit hoher Luftverschmutzung wurde im Stadtzentrum verboten. 2010 treten strengere Abgasvorschriften für elf Großstädte in Kraft, die bis 2015 auf das ganze Land ausgeweitet werden sollen.
    Sammelställe für Kühe vor den Stadttoren, mehr Straßenbau, Abgasverordnungen – ob solche Regelungen Indien vor dem Verkehrs- und Umweltinfarkt retten können, ist unsicher. Allerdings trifft die Behauptung, dass der Kampf um eine günstige Kohlendioxid-Bilanz unseres Planeten endgültig verloren ist, wenn jeder, der es sich leisten kann, einen Nano fährt, in Indien auf großes Unverständnis. Nicht ganz unberechtigt, wenn das Argument von Leuten hervorgebracht wird, die aus einem vollindustrialisierten Land kommen und für den Flug zum Subkontinent mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, als ein indischer Bürger durchschnittlich in einem Jahr produziert. 4
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    1 Siehe Kapitel „Die Zeit läuft anders auf Bahnsteig B“.
    2 Svastikas sind Kreuze mit angewinkelten oder gebogenen Enden, in Indien oft durch Punkte ergänzt. Das Zeichen sieht dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten sehr ähnlich. Doch in Indien gebraucht man es nicht als Symbol einer menschenverachtenden Ideologie, sondern entweder als jahrtausendealten Glücksbringer (Haken meist nach rechts gerichtet) oder als Zeichen der Göttin Kali (nach links gerichtete Haken). Es ziert viele Gegenstände – vom Blumentopf bis zum Autobus.
    3 Crore: indisches Zahlwort für „zehn Millionen“.
    4 2006 erzeugten die Einwohner Indiens nach Informationen der Vereinten Nationen pro Person durchschnittlich 1,31 Tonnen Kohlendioxid, ein Wert, der mit jedem Jahr steigt. Für einen Economy-Passagier eines einfachen Flugs von Deutschland nach Bombay rechnet das Bayerische Landesamt für Umwelt mit dem Ausstoß von 2 Tonnen Kohlendioxid.

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