Masala Highway
offensichtlich ein großes Problem des Megaprojekts. Als beispielhaft kann der Fall von Satyendra K. Dubey, Projektmanager der NHAI in Bihar, gelten. Dubey hatte aufgedeckt, dass die bei einem großen Bauabschnitt beauftragten Firmen und Mittelsmänner Dutzende Crore 3 Rupien, also mehrere Millionen Euro unterschlagen hatten. Zudem ließen sie die Arbeit von unqualifizierten Subunternehmern erledigen, was ihnen eigentlich verboten war. Dubey machte seine Chefs auf die Zustände aufmerksam – ohne dass diese etwas änderten. Also wendete sich Dubey an den damaligen Premierminister Atal Bihari Vajpayee. Bald darauf fand sich der Ingenieur auf einem ziemlich verlorenen Posten in dem Provinznest Gaya wieder, wenige Monate später, Ende 2003, wurde er erschossen – was die Aufmerksamkeit der indischen Presse auf den Fall zog. Der Mord sollte der Ursprung für neue Rätsel sein: Der Mann, der Satyendra Dubey vermutlich umbrachte, konnte aus der Gefangenschaft fliehen und wird immer noch gesucht, zwei weitere Verdächtige starben in der Untersuchungshaft an einer Vergiftung. Deren Angehörige verdächtigen die Polizei, die Gefangenen getötet zu haben – die Behörden stellen die Vergiftung als Doppelsuizid dar. Die Auftraggeber des Mordes an Dubey bleiben bis heute im Dunkeln. Eines haben Nachforschungen von Presse und nationalen Behörden aber bewiesen: Dubeys Enthüllungen stimmten.
Bihar ist ein Bundesstaat Indiens, der besonders mit Überbevölkerung und Naturkatastrophen zu kämpfen hat – das macht den Kampf gegen Korruption nicht einfach. Auch ist die Verbindung weiter Kreise der Politik mit der organisierten Kriminalität in diesem Landesteil ein offenes Geheimnis. In Bihar angesiedelte Skandale und Korruptionsaffären sind also nichts Außergewöhnliches. Im Umkehrschluss heißt das zwar, dass nicht jede neue Straße in Indien im Schatten von Korruption entsteht, denn nicht überall geht es wie in Bihar zu. Doch das Beispiel des Dubey-Falls steht exemplarisch für die Probleme Indiens auf seinem Weg zu einer modernen Industrienation – und dafür, mit welchem Leid diese Anstrengungen für die Bevölkerung verbunden sein können. Denn die Menschen sind es, die am Ende bezahlen – sei es direkt mit ihrem Grund und ihren Häusern, die sie am Rande der Straßen besaßen, sei es durch ihre Steuern, die im Korruptionssumpf versickern.
Die Sicherheit im indischen Straßenverkehr ist durch die neuen Autobahnen nicht unbedingt gestiegen: Obwohl der Autobahnenverbund, der auf Straßenkarten wie eine riesige, den Subkontinent umspannende Raute aussieht, gerade einmal einen Anteil von zwei Prozent am indischen Straßennetz hat, sollen 2008 ein Drittel der tödlichen Verkehrsunfälle des Landes auf diesen Rennstrecken geschehen sein. 2010 nähert sich das „Golden Quadrilateral“ seiner Vollendung – und die NHAI kündigt an, die Abschnitte, die bislang vierspurig sind, auf sechs Spuren ausbauen zu wollen.
Die meisten Straßen in Indien bleiben einspurige Pisten. Eine Fahrt in einem Überlandbus mit einer vom Buseigner selbst genieteten Karosserie, wie dem nach Jaisalmer, vermittelt deutlich, was schlechte Straßen für die körpereigene Polsterung bedeuten. Je näher man an einer der Achsen sitzt, umso stärker spürt man jedes Schlagloch.
Mit Autos fährt es sich sehr viel bequemer. In Deutschland freue ich mich über Fahrzeuge, die wenig Benzin verbrauchen und eine schöne Farbe haben – rollen können sie alle. Auf Indienreisen werde ich wählerisch – es muss bequem sein, eine Klimaanlage ist für Langstrecken wichtig.
Die Urform des Individualverkehrs in Indien verkörpert das Auto, „das Indien gebaut hat“ – so behauptet es zumindest ein alter Werbespruch. Es verhält sich ein bisschen wie der Käfer mit West-, der Trabbi mit Ostdeutschland oder die Ente mit Frankreich. Denn auch Indien hat ein Modell, das jahrzehntelang die Straßen prägte: den Ambassador von Hindustan Motors – wenn dies auch kein Auto für jeden war und ist, sondern als Statussymbol gilt. Nur wirklich selten wird die rundliche Blechkiste wie im Fall des Straßenbauingenieurs als Mordwerkzeug missbraucht. Generationen von Indern haben das Fahrzeug als mehr oder weniger zuverlässigen und belastbaren Alleskönner lieben gelernt. Das mag dazu beitragen, dass das Auto inzwischen all den anderen Nationen-Kübeln etwas voraus hat: Obwohl seine erste Version 1959 erschien, läuft und läuft und läuft der Ambassador bis heute.
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