Masala Highway
Etwa 5 000 von ihnen sorgen dafür, dass jeden Tag rund 200 000 Angestellte, Schüler und Geschäftsleute im Büro oder in der Schule essen können. Nicht irgendein Essen, sondern genau das, was die Frau, Mutter oder Schwester ihnen wenige Stunden vorher zu Hause in den Dabba gefüllt hat – ein Blechzylinder, der aus mehreren aufeinandergestapelten Büchsen zusammengesetzt ist, sodass für Reis, Dal und Currys jeweils eigene Behälter benutzt werden können. Den gefüllten Dabba überreicht die Köchin an ihrer Haustür einem Träger – und über ein ausgeklügeltes Verteilernetz gelangt die silberne Dose zu ihrem Empfänger. Immer. Trotz der hohen Zahl der Lieferungen ist die Zuverlässigkeit der Dabbas legendär: Das Forbes Global Magazine kürte die Interessenvertretung der Dabbawallas, den Nutan Mumbai Tiffin Box Suppliers Charity Trust oder NMTBSCT, zu einem Unternehmen mit Six Sigma Rating. Solche Unternehmen erfüllen das, was sie ihren Kunden versprechen, nahezu vollkommen zuverlässig, Arbeitsabläufe lassen sich kaum noch optimieren. Angeblich geht den Dabbawalla nur eine von 16 Millionen der „Tiffin Boxes“ – so nannten die Briten die Behälter für kleine Mahlzeiten, als das System vor 120 Jahren eingeführt wurde – verloren. Pünktlichkeit ist eine weitere hervorstechende Eigenschaft der Organisation. Als Prinz Charles die Dabbawallas im Jahr 2003 besuchte, bestand die NMTBSCT darauf, dass die königliche Hoheit sich nach dem Terminplan der Träger richtete: Schon eine kleine Veränderung des logistischen Ablaufs hätte die Versorgung von Bombays Angestellten mit Currys zusammenbrechen lassen. Den Versuch, ein ähnliches System in Neu-Delhi aufzubauen, blies die Organisation ab, angeblich weil die indische Hauptstadt, deren Stadtgrenzen ein großes Rund zeichnen, die Logistik zu komplex werden lässt: Bombays City ist lang gestreckt, was die Koordination wohl leichter macht.
Nicht nur in der Stadt der Dabbawallas ist Tiffin, der kleine Happen zwischendurch, beliebt. Imbissstände wie den, an dem ich Chilibananen kennenlernte, gibt es in ganz Indien. Zum Angebot gehören Samosas, gefüllte Teigtaschen, und Pakoras, in Teig getauchtes und frittiertes Gemüse. Delhi aber hat seinen eigenen Snack: Es ist die Hauptstadt des Chaat Papri. Ob in einer Bretterbude im Basar oder einer Chaat-Bar in einem Einkaufszentrum, Chaat ist das Lieblingsessen der Delhiwallas 4 . Bekanntlich macht Liebe blind, und man schaut besser nicht so genau hin, wenn man Chaat noch nicht lieben gelernt hat. Das ist auch der Grund, warum ich an ungezählten Take-aways vorbeigelaufen bin, bevor ich nähere Bekanntschaft mit dem Snack schloss: Chaat Papri sieht nicht sehr appetitlich aus. Es war Vimal, der die Leckerei und mich einander näherbrachte. „Probier das mal“, sagte er und streckte mir ein Schüsselchen aus gepressten Blättern entgegen, in dem in einer weißlichen Soße undefinierbare Bröckchen schwammen, darauf dunkle Sprenkel. Vimal bediente sich sofort an seiner eigenen Portion. Mit einem Rundumblick versicherte ich mich, dass es ein gut besuchter Laden war – ein wichtiges Zeichen für die gesundheitliche Verträglichkeit von Straßenrestaurants. Als ich kostete, lernte ich die inneren Werte des Snacks zu schätzen: Gekochte Kartoffelstückchen, kleine Teigwaffelbrocken sowie Erbsen oder klein geschnittenes Gemüse bilden die Grundlage für ein nahrhaftes Essen, das süßlich und würzig zugleich ist. Für Letzteres zeichnen sich Tamarindenchutney und Chaat Masala, also die dunklen Sprenkel oben drauf, verantwortlich. Ein bisschen Chili – without spicy it's boring – ist natürlich auch dabei. Die weißliche Soße, eigentlich flüssiger Joghurt, mildert das Ganze ab.
Der kleine Snack zwischendurch spielt auch deshalb eine so große Rolle in der indischen Küche, weil das Mittagessen, häufig ein Thali, nicht so gehaltvoll wie in Deutschland ist. Feste Essenszeiten spielen keine große Rolle, was auch daran liegt, dass Essen von vielen als Teil eines ganzheitlichen Verständnisses von Körper, Geist und Seele verstanden wird: Man isst, wenn diese drei danach verlangen – und nicht, wenn die Uhr es befiehlt. Die Regeln der traditionellen indischen Heilkunst, Ayurveda, bestimmen oft die Zusammensetzung der Speisen: Gewürze unterstützen gezielt die Verdauung und verschiedene Geschmacksrichtungen werden bewusst kombiniert. Das Frühstück ist eher leicht – etwas Obst, vielleicht ein paar Idlis,
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