Masala Highway
Ambassador geht auf ein englisches Auto aus den späten Fünfzigerjahren zurück, den Morris Oxford III – nach Produktionsende in Großbritannien wurde die Fabrik nach Bengalen verfrachtet. So kann man auch jetzt noch in einem Gefährt mit Miss-Marple- Charme seine eigene Passage durch Indien finden. Das Vehikel sieht wie eine Requisite aus einem alten Schwarz-Weiß-Streifen aus. Mit seinen zwei runden Scheinwerfern und einem großen lachenden Kühlergrill, gekrönt von einer gewölbten Motorhaube, hat das Auto ein sehr freundliches „Gesicht“. Als ich es zum ersten Mal sah, träumte ich des sympathischen Anblicks wegen sofort davon, mit ihm von Indien nach Europa auf dem Landweg zurückzufahren. Rechtssteuerung hin, völlige technische Unkenntnis in mechanischen Fragen meinerseits her. Daraus wurde zum Glück nichts. Denn es ist überall in Indien möglich, Ersatzteile zu bekommen – nicht aber außerhalb des Landes. Mag die Konstruktion robust und auf indische Schlaglöcher spezialisiert sein, für wartungsfreie Interkontinentalreisen ist sie nicht gedacht. Da hilft es auch nicht, dass der Ambassador seit seiner Markteinführung einige Veränderungen erfahren hat. Der Motor wurde ein paar Mal überarbeitet, es gibt ihn ab Werk auch mit Erdgasantrieb, Klimaanlage und – nicht immer selbstverständlich – Seitenspiegeln. Inzwischen rollen aufgepeppte Versionen mit stromlinienförmigen Scheinwerfern vom Band – doch die sind selten zu sehen.
Trotzdem hat man als Indienbesucher gute Chancen, irgendwann in einem Ambassador zu sitzen. Denn als Taxi und als „Tourist Car“ sind sie nach wie vor beliebt. Touristenfahrzeuge, nicht nur vom Typ Ambassador, sind an ihrem gelben Nummernschild und einer speziellen weißen Lackierung mit blauem Streifen zu erkennen, oft mit der Aufschrift „All India permit“ oder „National permit“. Das bedeutet, dass damit Touren mit Reisenden in allen Bundesstaaten erlaubt sind – und für Versicherung und Gebühren besondere Sätze gelten. Ähnliche Regelungen gibt es auch für den Lastverkehr. Eine andere, noch auffälligere Art der Verwendung sind Fahrzeuge der indischen Regierung. Der schneeweiße Lack ist vom Fahrer blank poliert, die Fenster hinten lassen sich durch Vorhänge abschirmen oder haben stark getönte Scheiben. Lässt sich ein mehr oder weniger wichtiger Amtsinhaber darin transportieren, sind sie zudem mit einem aufstellbaren Fähnchen an der Kühlerhaube versehen, kleinen roten Lämpchen vorne und – ganz wichtig – mit einem roten Warnlicht auf dem Dach.
Auf Kurzstrecken überwiegt der Charme eines Autos, in dem man zumindest nach oben hin Platz hat. Wenn man länger darin sitzt, vergisst man aber schnell das außergewöhnliche Äußere. Für Passagiere auf der Rückbank – also da, wo man als Tourist meistens sitzt, wenn man nicht gerade allein reist und vorne mitfährt – ist nicht viel Raum für die Beine. Bei zwanzig Jahre alten Modellen im Privatbesitz und Taxis sind die Polster oft dermaßen durchgesessen, dass ich lieber im Stehen gefahren wäre. Auf Langstrecken oder mehrtägigen Reisen ist so ein Ambassador doch sehr laut – auch wenn es sich um ein neueres, gut gepflegtes Tourist Car handelt. Mein Traum von der selbst gesteuerten Überlandreise zerstob übrigens in dem Moment, in dem ich einen Fahrer mit der Lenkradschaltung in den Gängen stochern sah, und auch die inzwischen eingeführte Kupplung zwischen den Sitzen ist etwas für Menschen mit einem Hang fürs Archaische.
Der Anteil von Ambassadors auf der Straße nimmt ganz offensichtlich ab – sei es, weil jedes Jahr nur noch rund 15 000 neue Exemplare produziert werden, oder weil inzwischen viel mehr Unternehmen als früher ihre Autos in Indien verkaufen. Die haben mehr technische Finessen, und sind dabei oft billiger. Trotz des Alters der Modellreihe ist der Ambassador kein Schnäppchen: Für ein neues Fahrzeug muss man schon rund eine halbe Million Rupien – rund 7 500 Euro – im Autohaus lassen. Viel Geld für ein Auto indischer Herstellung.
Trotz all dieser Mängel blieb der Ambassador über ein halbes Jahrhundert hinweg dominant auf Indiens Straßen. Das hängt mit der restriktiven Wirtschaftspolitik zusammen, die der indische Staat erst seit den Achtzigerjahren zu lockern begann. Autos durfte nur bauen, wer vom Staat dazu eine Lizenz erhalten hatte. Ausländischen Unternehmen war es bis dahin ganz unmöglich, eigene Fabriken in Indien zu errichten, die Regierung sah darin
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