Masala Highway
Indiens. Das nahe gelegene Gujarat wiederum ist im ganzen Land für sein Gujarati-Thali bekannt: eine aufeinander abgestimmte Zusammenstellung von Soßen und Reis, die auf einem Metalltablett – dem Thali – serviert werden. Das Menü gibt es inzwischen in ganz Indien, im Süden wird das Tablett oft durch ein großes Bananenblatt ersetzt – wunderschön anzusehen und praktisch dazu. In der ehemaligen Kolonie Goa haben die Portugiesen unter anderem Würstchen aus Schweinefleisch auf der Speisekarte hinterlassen.
Politische und gesellschaftliche Umbrüche prägen immer noch Zubereitungsarten und Speisenauswahl. Den Tandoor, der Lehmofen, der heute bei uns fast so sehr wie das Currygewürz mit indischer Küche gleichgesetzt wird, brachten Flüchtlinge aus dem Punjab nach der Staatsgründung 1947 3 . Besonders viele dieser Einwanderer aus dem damals neu gegründeten Pakistan siedelten sich in Nordindien an und brachten ihr Wissen über Bauweise und Zubereitungstechnik im geschlossenen Ofen mit, der die aromatische Zubereitung von Fleisch oder Brot bei großer Hitze ermöglicht, ohne die Zutaten austrocknen zu lassen. In den letzten Jahrzehnten sind es Exiltibeter, die mit Spezialitäten wie den kugeligen Momos, kleine gefüllte Teigtaschen, das Essensangebot Indiens bereichern.
Über die regionalen Unterschiede hinaus schwört jeder Inder darauf, dass es nirgendwo besser schmecke als bei ihm zu Hause. „Warum willst du im Restaurant essen?“, fragt mich die Gastmutter der Pension in Familienbesitz, wenn ich für eine Buchrecherche eine Einladung, in der Unterkunft zu essen, ausschlage. „Dort ist das Essen schlecht.“ Eine indische Köchin hat oft ihr eigenes Garam Masala, eine Gewürzmischung, mit der sie ihren Currys und Linsengerichten einen besonderen geschmacklichen Stempel aufdrückt. Unter „Curry“ versteht man in Indien übrigens kein Pulver, sondern eine Zubereitungsart: gekochte Gerichte, die mit einer Soße zubereitet werden.
Ein anderer Grund für die Vorliebe für Selbstgekochtes sind Speisevorschriften, die mit dem Glauben zusammenhängen: Hindus verzichten ganz auf Rindfleisch, die Mehrheit lebt vegetarisch – aus dem Glauben heraus, dass die Seele des Menschen auch in einem Tier wiedergeboren werden kann. Als Nationalgericht Indiens kann wohl Dal bezeichnet werden, Sammelbegriff für eine Unzahl von Linsengerichten, die oft sehr flüssig sind. Die Hülsenfrüchte sind ein wichtiger und günstiger Proteinlieferant.
Für Angehörige höherer Kasten ist die Vorstellung, Essen aus einer „unreinen“ Küche zu konsumieren, in der zum Beispiel Kastenlose arbeiten, oder in der Fleisch oder Alkohol auf der Zutatenliste stehen, ein Problem. Brahmanen ist der Verzehr von Zwiebeln und Knoblauch verboten, Muslime essen kein Schweinefleisch. Besondere Anforderungen stellen Jains an ihr Essen: Kein Lebewesen darf durch die Nahrungsaufnahme Schaden nehmen. So sind sie besonders strenge Vegetarier: Der Verzehr von Eiern ist für Jains tabu, viele leben vegan. Darüber hinaus meiden sie Zutaten, bei deren Ernte Lebewesen verletzt oder getötet werden könnten. Die Liste der verbotenen Lebensmittel für fromme Jains ist lang: Kartoffeln und Karotten, wie fast alles, was unter der Erde wächst oder tiefe Wurzeln hat – bei der Ernte könnte ja ein im Erdreich verborgenes Insekt sterben; Honig, denn auch der umsichtigste Imker verhilft einigen seiner Bienen zu einer verfrühten Wiedergeburt. In Frage kommen auch keine Lebensmittel, deren Ernte den Tod der gesamten Pflanze bedeutet, wie Radieschen oder Zwiebeln. Nach Einbruch der Dunkelheit wird von orthodoxen Jains nichts zubereitet oder gegessen, zum einen weil das dafür nötige Kunstlicht Insekten anlockt und ihnen so den Tod bringt, zum anderen weil im Düstern leicht eine kleine Fliege zwischen die Zähne gerät.
Wenn ein orthodoxer Jain vor der Abenddämmerung seine Kele Vada isst, frittierte Bällchen aus Banane und Erbsen, macht er das am liebsten zu Hause – denn wo könnte er sonst sichergehen, dass bei der Zubereitung nicht doch einige der Regeln verletzt wurden? Der gleiche Gedanke wird auch einen strenggläubigen Brahmanen oder frommen Muslim zu Hause halten.
Allerdings kann man nicht sein ganzes Leben zu Hause sitzen. Schon gar nicht als Angestellter mit langen Arbeitstagen. In Bombay gibt es eine Lösung für die Pendler, die jeden Tag mehrere Stunden Fahrt für den Weg zu ihrem Arbeitsplatz auf sich nehmen: die Dabbawallas, Essensträger.
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