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Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
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in Indien
    Es war das Ende eines schönen Tages. Nach einer ermüdenden, aber auch ergiebigen Recherche in einem verstaubten Archiv der Church of South India hatte ich Hunger. Auf dem Rückweg kam ich an einem Straßenstand vorbei, der geröstete Bananen anbot: Ein junger Inder spießte die geschälten Früchte auf Hölzchen auf und drehte sie auf einem Rost, bis sie schön rotbraun gegrillt waren. Ich sah, kaufte, biss herzhaft zu – und verstand: Rotbraun waren die Bananen nicht des Grillens wegen. Sondern wegen der Chilisoße, mit der sie bestrichen waren. Es muss sehr komisch ausgesehen haben, wie ich würgend über die Straße tanzte.
    Als ich wieder aufgehört hatte zu weinen, kaufte ich ein paar Salzbiskuits bei dem Bananenfolterer – „not spicy“, versicherte ich mich diesmal vorher bei ihm. Eigentlich eine Ermahnung, die ich sonst nicht gerne bei Bestellungen anfüge – es gibt verschiedene Schärfegrade, und die nicht ganz so intensiven kann man auch als Mitteleuropäer recht gut verkraften. Zwei andere seiner Kunden kauten derweil genüsslich an ihren Bananen, während sich auf ihrer Stirn Schweißperlen bildeten. „Wie könnt ihr das nur essen?“, frage ich. „Oh, stimmt, das ist sehr scharf. Eigentlich sogar viel zu scharf. Nein, das ist gar nicht gesund“, antwortete einer mit einem glücklichen Glänzen in den Augen – oder war es das Chili, das ihm Tränen in die Augen trieb? „Ab und zu mögen wir es etwas schärfer“, pflichtet ihm der andere bei, „without spicy it's boring“ 1 , und wischte sich die Hand mit einer Papierserviette ab. Ein Flächenbrand auf der Zunge als Mittel gegen Langeweile: Für viele Inder ist Essen sehr viel mehr als nur Nahrungsaufnahme, es ist auch Freizeitbeschäftigung, Objekt nationaler Identifikation und soziales Ereignis. Welchen Stellenwert der gewohnte Speiseplan für Inder hat, zeigen Erfahrungen mit indischen Reisegruppen in Europa: Da geben die meisten dem indischen Essen den Vorzug gegenüber dem westlichen Essen. Einige Schweizer Hotels, die inzwischen erkannt haben, dass mit den Gästen vom Subkontinent ein lohnendes Geschäft 2 zu machen ist, fliegen sogar indische Köche ein – angeblich packen viele Inder sonst den Spirituskocher aus dem Koffer und bereiten sich auf dem Zimmer selbst ihr Curry zu.
    Ob die Geschichte stimmt, lässt sich schwer nachprüfen, denkbar ist sie allemal. Zwar braucht man nicht für jeden Bissen nach indischem Rezept einen speziellen Brandschutz, doch der Einsatz von vielen verschiedenen Gewürzen ist typisch für die indische Küche. Die Vielfalt der Geschmacksnoten ihrer Speisen ist geradezu unendlich – und so ist es verständlich, dass viele Inder unser Essen vielleicht gerne anschauen, sich beim Probieren aber nach der Heimat sehnen: „Without spicy it's boring“.
    Es gibt nicht nur die „eine“ indische Küche, sondern mehrere: Die Ströme von Eroberern, Handelnden und Einwanderern, die Indien über die Jahrhunderte erlebte, hinterließen kulinarische Spuren. Auch klimatische und geografische Unterschiede der Landesteile verleihen den regionalen Küchen eigenen Charakter. Im Norden erinnert die Mughlai-Küche mit Lammgerichten wie Seekh-Kebab und mit viel Joghurt und Rahm cremig zubereitetem Geflügel an die Zeit der islamischen Herrscher der frühen Neuzeit, die Moguln. Bengalen und die Küsten Orissas im Osten bieten Fischspezialitäten, Kalkutta ist außerdem die Heimat von süßen Desserts wie Gulab Jamun, aus Milchpulver hergestellte Bällchen, die in Zuckersirup getaucht werden und so süß schmecken, dass man davon Zahnschmerzen bekommt. Kerala ist wie Tamil Nadu wegen der vielen Strände ebenfalls ein für seine Fischgerichte bekannter Staat. Die Kokospalmen, die hier wachsen, liefern Öl, das Ghee ersetzt – geklärte Butter, die vor allem im Norden als Kochfett verwendet wird. Kokosprodukte geben vielen Gerichten eine süßliche Note. Zugleich ist in der südlichen Küche die Verwendung von Chili typisch. Die Portugiesen, die im sechzehnten Jahrhundert die Schoten aus Mittelamerika nach Indien brachten, hatten herausgefunden, dass sich die profitablen Scharfmacher in dem heißen Klima besonders gut anbauen lassen. Bombay bietet die wohl größte Auswahl an verschiedenen kulinarischen Einflüssen: Italienisch essen zu gehen ist zwar auch hier alles andere als selbstverständlich, aber sehr viel einfacher und mit geringerem Risiko für die Gesundheit durchzuführen als an den meisten anderen Orten

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