Masken der Begierde
langes, schwarzes Haar auffiel, das an seinem weißen Hemd hing. Er schluckte. Was hatte er getan? Und vor allem: mit wem?
Von draußen drang Lachen bis hinauf zu seinem Fenster. Miss Delacroix. Sie besaß schwarzes Haar. Er trat ans Fenster und sah hinunter. Violet Delacroix stand da, den Kopf in den Nacken geworfen, und lachte, dass ihre weißen Zähne in der Sonne blitzten. Eine Locke hatte sich aus ihrem Dutt gelöst und wehte im Wind. Sie wirkte entspannt, zügellos, und etwas an ihrem Auftreten rührte an seiner Erinnerung. Verwirrt kehrte er in sein Zimmer zurück. Natürlich musste das nichts bedeuten. Das Haar konnte beim Dinner auf sein Hemd geraten sein.
Er beschloss, einen Ausritt zu unternehmen, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Violet beobachtete Allegras Versuche, ein Krickettor zu treffen. Das Mädchen hatte ihren Spaß an dem Spiel und amüsierte Violet mit allerlei Faxen. Ihr war es recht, dass Allegra ausgelassen herumalberte, lenkte es doch Violet von ihren trüben Gedanken ab. Noch immer glaubte sie, den Lucas’ Duft einzuatmen. Er schien sie zu umhüllen und auf ihrer Haut zu liegen. Der Sex mit ihm war grandios gewesen. Violet besaß eine sinnliche Natur, und sie schämte sich nicht dafür, Lust zu empfinden. Vermutlich das verderbte Erbe ihrer Mutter, wie ihr Liebhaber gehöhnt hatte. Violet schloss die Augen und zwang die Erinnerungen fort in die dunkelste, entlegenste Schublade ihres Gehirns. Stattdessen ließ sie die Gedanken Revue passieren, die sie an Lucas und die letzte Nacht erinnerten. Sie hatte das Zusammensein mit Lucas mehr genossen als jedes ihrer Stelldicheins mit ihrem Liebhaber, dessen Verrat sie so teuer zu stehen kam. Lucas’ Körper passte perfekt zu ihrem. Wie ein fehlendes Puzzleteil.
Violet krümmte sich innerlich zusammen. Es war ein Fehler gewesen, ihrer Sehnsucht nachzugeben. Es erwies sich geradezu als unverzeihlich. Was dachte Lucas jetzt von ihr? Eine verdorbene Person wie Violet würde er niemals in der Nähe seiner jugendlichen Schwester dulden. Violet müsste gehen und eine neue Stelle suchen. Sie blinzelte die Tränen fort, die in ihr aufsteigen wollten. Sie hatte alles zerstört. Wieder einmal.
Violet wischte eine einzelne Träne aus ihrem Augenwinkel fort und richtete sich auf. Lucas hatte dem Brandy zugesprochen, nicht übermäßig, doch genug, um nicht ganz Herr seiner Sinne gewesen zu sein. Sie würde ihn davon überzeugen müssen, dass er sich alles nur einbildete. Dass es eine nächtliche Begegnung im Arbeitszimmer nie gegeben hatte. Verzweifelt klammerte sie sich an diese Hoffnung. Sie hatte kein Geld, keinen Zufluchtsort, keinen Menschen, an den sie sich wenden konnte. Sie war auf sich allein gestellt. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Allegra.
Allegra ließ den Kricketschläger auf den Ball sausen, und dieser flog mit Schwung durch das Tor. Sie klatschte.
„Fabelhafter Schlag, Allegra.“
Das Mädchen sah mit freudig blitzenden Augen zu Violet.
„Danke, Miss Delacroix.“ Sie entdeckte jemanden hinter Violet und strahlte. Violet zwang sich, nicht zusammenzuzucken, und holte tief Luft, ehe sie sich umdrehte.
„Mylord.“ Sie knickste und sah ihm in die Augen.
Er musste eine fürchterliche Nacht hinter sich haben. Dunkle Augenringe zierten sein blasses Gesicht, und als er sie ansah, ließ er mit keinem Blick erkennen, dass er sich an ihr Zusammensein erinnerte. Sie entspannte sich ein wenig.
„Miss Delacroix.“ Er zögerte, ehe er sich Allegra zuwandte: „Hättest du Lust auf einen Ausritt?“
Allegra fiel ihm in die Arme. „Zu gerne!“ Sie wandte sich Violet zu. „Wollt Ihr uns begleiten?“
Violet verneinte. „Ich besitze kein Reitkostüm“, erklärte sie und war erleichtert, auf diese Weise auf den Ausflug verzichten zu können.
Lucas räusperte sich. „Wir stellen Ihnen die Kleider meiner Stiefmutter zur Verfügung. Wenn es dir recht ist, Ally?“
Allegra machte eine zustimmende Handbewegung. „Natürlich. Mutter wird wohl nichts mehr damit anfangen können.“ Neugierig musterte sie Violet.
„Zu großzügig, aber das ist nicht nötig“, protestierte Violet.
„Unsinn“, widersprach Allegra. „Ihr könnt hier nicht mit zwei Kleidern auskommen. Wir sind ein vornehmes Haus.“ Sie zwinkerte fröhlich.
„Drei Kleider“, verbesserte Violet sie.
„Es ist in Ordnung, Miss Delacroix“, entgegnete Lucas. Der Blick, der auf ihr dunkles Tageskleid fiel, war mehr als missbilligend.
Sie räusperte sich und gab
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