Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
saftige Grün des Pjandars gewesen, das den Blick unweigerlich auf sich zog. Direkt vor den Toren der Stadt, noch bevor sich die geschotterte Hauptstraße in den Weiten der Wüstenlandschaft verlor, lag der parkähnliche Garten, dessen üppige Pflanzenwelt für Bewohner und Besucher Laigdans eine Oase der Ruhe und Erholung darstellte.
Auf einem Plateau, hoch über den Dächern der Stadt, thronte der Königspalast mit seinen schlanken Türmen und goldenen Kuppeln, ein nicht zu übersehender Beweis von Macht und Größe. In großzügig angelegten Serpentinen wand sich die Straße den Berg hinauf. Der Anstieg zu Fuß war beschwerlich, und man tat gut daran, eine Kutsche oder ein Pferd zu besteigen, wollte man zu den Toren des Palasts vordringen.
Ferins Blick wanderte umher. Zum ersten Mal konnte sie sich alles anschauen und musste nicht, die Augen auf den Boden geheftet, die Pflastersteine bis zur nächsten Abzweigung zählen. Jetzt endlich durfte sie Schönheit und Freiheit in vollen Zügen genießen. Aber sie sah nur braune Holztüren, blank geputzte Fenster und weiße Fassaden. Überall Sauberkeit und Ordnung, ein festes Gefüge aus Vorschriften. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Was waren das für seltsame Gedanken?
Wie sonst auch wollte sie in eine schmale Seitengasse abbiegen, doch Najid zog sie geradeaus weiter. »Die dunklen Gassen bleiben den Pheytanern vorbehalten. Wir gehen hier entlang.«
Ferin nickte. Natürlich. Wieder reine Gewohnheit. Noch am Tag zuvor, auf ihrem Weg zum Spiegelsaal, hatte sie durch ebendiese Gasse gehen müssen, und heute war alles anders. Nur aufgrund der Maske. Unvorstellbar, dass sie ein ganzes Leben änderte! Dass sie verantwortlich war für Glück oder Unglück, Gefangenschaft oder Freiheit. Wie viele Pheytaner lebten wohl ohne Maske? Ihres freien Willens beraubt, ohne persönliche Rechte, unterdrückt durch die Regeln der Konvention?
Die nächsten Schritte stakste Ferin wie durch einen Nebel, sie nahm ihre Umgebung nicht mehr wahr. Ihre Gedanken kreisten, wie von einer fremden Macht geleitet, um eine weitere Frage, die in ihrem Kopf aufgetaucht war. Vor den weißen Treppen, die zum Eingangstor der Bibliothek hinaufführten, blieb sie stehen. »Weshalb gibt es die Konvention?«
Die Eltern und Hanneí waren ihr bereits einige Stufen voraus. Jetzt hielten sie inne und drehten sich nach ihr um. In ihren Augen lag ein Ausdruck höchster Verwunderung.
»Wie bitte?«, fragte Estella.
»Die Konvention. Warum gibt es sie?«
Die Verwunderung wandelte sich, Besorgnis und Unruhe legten sich wie düstere Schatten über die Gesichter der Eltern. Nur Hanneí sandte Ferin einen verächtlichen Blick.
Estella schaute sich um. »Scht, nicht so laut.«
Sie waren allein, weit und breit war niemand zu sehen.
»Weshalb?« Ferin hatte nicht vor, sich so einfach abspeisen zu lassen. Ihr Leben lang hatte sie ihre Fragen verdrängt, da die Antworten selten über ein »Das kann ich dir nicht sagen« hinausgegangen waren. Ihr war nie ganz klar gewesen, ob die Eltern tatsächlich nicht Bescheid wussten oder ob sie ihr viele Dinge einfach nicht erklären wollten. Vielleicht, um ihr das Leben nicht noch schwerer zu machen. Vielleicht, weil man Unmaskierten nichts Näheres über die Konvention und ihren Ursprung sagen durfte. Vielleicht aus anderen Gründen. Doch jetzt war sie keine Pheytana mehr, und sie hatte ein Recht auf Antworten.
Demonstrativ setzte sie sich auf die Treppe. »Ich gehe hier nicht weg. Nicht ohne eine Antwort.«
Estella trat zu ihr herunter. »Wie kommst du überhaupt dazu, eine solche Frage zu stellen?«
Die klaren, blaugrünen Augen der Mutter hatten sich verdunkelt, und um ihren Mund lag ein harter Zug. Die angespannte Miene tat ihrer Schönheit keinen Abbruch, sie verlieh ihrem Gesicht höchstens einen Hauch von Unnahbarkeit. Mit Stolz hatte Estella immer behauptet, dass beide Töchter ganz nach ihr geraten waren. Ferin konnte das nicht beurteilen, sie hatte das wahre Aussehen der Mutter nie kennengelernt.
»Warum denn nicht?«, meinte Ferin achselzuckend.
»Weil …« Estella druckste herum. »Die Maske … du solltest gar nicht …«
»Was sollte ich nicht?«
Schweigen. Keine Antworten, nur Schweigen.
Ferin seufzte auf. »Wieso könnt ihr mir das nicht sagen? Ich bin doch jetzt eine Merdhugerin. Ich darf es wissen. Oder?«, fügte sie hinzu, weil sie das Gefühl hatte, etwas Falsches gesagt zu haben.
»Ferin …« Najid ignorierte Estellas beschwörenden Blick
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